Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 26. (1973)

GÖRLICH, Ernst Joseph: Ein Katholik gegen Dollfuß-Österreich. Das Tagebuch des Sozialreformers Anton Orel

Tagebuch Orel 395 „Uniform“24) ich trüge und auf meine verwunderte Antwort, daß dies meine gewohnte Kleidung sei, meinte er: „Weil Sie einen Gürtel haben (!)“. Ich ging gleich auf die Sache ein: Seine letzten Reden hätten den Eindruck erweckt, daß die kirchlichen Autoritäten mit dem herrschenden Regierungssystem doch nicht durch dick und dünn gingen. Er wurde sofort nervös und ängstlich, mißverstand mich, als ob ich gekommen wäre, um ihm Vorwürfe zu machen und es dauerte 3 bis 4 Minuten, bis er vergewissert war, daß ich seiner Kritik zustimme. Ich fuhr dann fort, diese Stellungnahme gebe die Hoffnung, daß aus der katholi­schen Aktion doch noch etwas werden könnte. Ich hätte mit Bischof Hudal über die Sache gesprochen. Sofort fiel er mir ins Wort, sehr ängstlich: „Ist der auch nicht einverstanden?“ Man mußte den Eindruck gewinnen, daß der Kar­dinal völlig eingeschüchtert sei durch die gegen ihn unternommenen Schritte. Ich sagte weiter, Hudal sei durchaus nicht gegen seine Stellungnahme, sondern habe mir sogar Ratschläge erteilt, durch die wir unseren Vorschlägen Gehör verschaffen könnten. Es handle sich mir darum, daß aus der katholischen Aktion eine wahre katholische Aktion werde, nicht aber ein bürokratischer Apparat, der sie heute sei. „Das ist sie nicht“, fuhr der Kardinal dazwischen. Ich: „Doch, das ist sie. Sie soll aber und müßte, um ihre Aufgabe zu erfüllen, etwas ganz anderes sein.“ Sie solle und könne eine Volksbewegung werden, die die geistige Führung des Volkes wirklich übernehmen sollte im Gegensatz zu der soge­nannten Vaterländischen Front, die dazu völlig unfähig sei. „Ja, freilich“, sagte der Kardinal, „soll sie schon auch etwas Geistiges sein und Geistiges leisten“. Ich solle zu Engelhart gehen, er sei sein Vertrauensmann für die katholische Aktion. Ich solle ihm sagen, der Kardinal habe mich beauftragt und schicke mich zu ihm, um ihm Vorschläge zu machen. (Dabei machte er sonderbare Bewe­gungen und sein Gesicht verzerrte sich, seine Augen rollten ganz ungewöhnlich. Ich hatte den Eindruck, er bemühe sich, Autorität und Energie zu markieren — die ihm fehlen!). (22) Gespräch mit Engelhart. Sehr verspätet, am 11. September 1936. Ich urgiere zuerst die offizielle Anerkennung unserer Jugendorganisation als zur katholischen Aktion gehörig, weswegen ich vor einem Jahr mit Fischer bei ihm gewesen sei — wir hät­ten aber noch keine Erledigung. Er entgegnete, das komme daher, weil das Ergebnis der Verhandlungen mit der Regierung noch immer nicht zu einer ge­nauen Fassung (in gesetzlicher Form) dessen geführt hätte, was die Regierung als zur katholischen Aktion gehörig anerkenne (!). Das Konkordat sage darüber nichts, es müsse demnächst ein Gesetz darüber erscheinen gerade mit Bezug auf den Termin (31. XII.), den die Regierung für die Jugendorganisationen fest­gesetzt habe. Ich sagte, daß eben nach dem Konkordat alles, was zur katholi­schen Aktion gehört, von der Regierungseinflußnahme ausgenommen sei, daß es also Sache der katholischen Aktion sei, zu bestimmen, was zu ihr gehöre. Engelhart beharrte darauf, daß er diesbezüglich auf die Maßnahmen der Regie­rung warten müsse und auf sie angewiesen sei. Also die katholische Aktion ist zwar autonom und exempt, die Regierung aber bestimmt den Inhalt dieser Autonomie und Exemption. Der reine bürokratische Josephinis­mus! Zu dem gleichen Schluß zwingt der zweite Teil der Unterredung. Ich sagte, daß ich im Auftrag des Kardinals käme, um über die katholische Aktion zu 24) Orel trug seit dem Ende des Ersten Weltkrieges auch im Alltag den sogenannten „Wanderkittel“ der Jugendbewegung, eine Art russischen Bauern­hemdes mit Gürtel.

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