Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 26. (1973)
GÖRLICH, Ernst Joseph: Ein Katholik gegen Dollfuß-Österreich. Das Tagebuch des Sozialreformers Anton Orel
Tagebuch Orel 393 Schmidt i?), der sich spontan dazu erbietet, die Sache nochmals bei Stepan aufzurollen; ich solle nur Mitarbeiter aus anderen Kreisen heranziehen, weil gegen uns allein zu viel Mißtrauen bestünde. Knapp darauf wendet sich der soziale Arbeitskreis des katholisch-deutschen Hochschulausschusses an mich behufs Anleitung zu praktischer sozialer Arbeit. Ich schlage dem D r. K u m- mer") Mitarbeit an meinem Plan vor. Wird angenommen (3. Mai 1934). Kurz darauf bespricht jur. Barth die Sache mit mir. Desgleichen wenden sich Kreit- schir (Reichsbund) und Schwarz (Sturmscharen) an mich wegen einer radikalen sozialen Aktion. Ich lade auch sie zur Teilnahme an meinem Plan ein. Wird angenommen. Von den Sturmscharen tritt Morawek bei. Stachelberger* 19) erklärt, den Reichsbund-Diözesanverbandsobmann Kaspar gewonnen zu haben. Am 11. V. kann ich Schmidt schon eine Liste und meine (für Schuschnigg verfaßten) Darlegungen übergeben. Auf der Pfingsttagung in Wildegg am 21. V. nach Morizens klagendem Referat auf meine Anregung hin beschlossen, mit der Aktion auf jeden Fall sofort zu beginnen. Schon am 27. V. habe ich die erste Besprechung mit Maderbacher, der verspricht, seine Kameraden für eine Besprechung zu interessieren. Alles erfolglos geblieben. (17) Der Gewaltkurs in Österreich. Abt Wiesinger war am 16. November 1935 bei Bundespräsident Miklas, um sich für den „Orden“ zu bedanken. Miklas erkundigte sich über Wiesingers Referat. Im Anschluß an dessen Antwort erklärte Miklas: Auch er sei mit dem jetzigen Kurs nicht einverstanden. Die letzte Regierungsumbildung habe er nur widerwillig genehmigt. Er sei ganz gegen den Gewaltkurs. Zuerst habe man mit einem längst nicht mehr gültigen Gesetz regiert. Dann das Parlament ganz vernichtet. Er sei immer dagegen gewesen. Die Entscheidung für den Gewaltkurs sei auf der kirchlichen Seite gefallen. Pacelli 20) sei von Pilsudskis Erfolgen so eingenommen gewesen, daß er sich für ein gleiches Vorgehen in Österreich ausgesprochen habe. Vier Bischöfe seien dagegen gewesen, hätten sich aber schließlich drei anderen gefügt. Am meisten habe sich Gföllner21 22) für die Gewalt eingesetzt. Unterdessen seien aber die vier schon bei Miklas gewesen und hätten schwere Bedenken gegen die Gewaltherrschaft vorgebracht. Miklas fühle sich nur als Hebamme und dann als Gouvernante der jeweiligen Regierung. (18) Schmitz22); der Grabhüter der „Romantik“. Am 30. Dezember 1935 berichtet mir Lifka: Am 16. November 1935 sollte Lugmayer auf unserer Herbsttagung für wahre Ständeordnung seinen Vortrag u) P. Wilhelm Schmidt, VVD, geh. 1883, bedeutender Völkerkundler, Begründer der „Wiener Schule“ der Völkerkunde. >8) Dr. Karl Kummer, geh. 1904, Sozialpolitiker, seit 1945 führend in der christlichen Arbeiter- und Angestelltenbewegung tätig; gab seinen Namen dem „Dr. Karl Kummer-Institut“. 19) Alfred Stachelberger, geh. 1901, Amtsrat i. R., Vorsitzender der „Anton- Orel-Gesellschaft“. ") Eugenio Pacelli, 1917 Nuntius in München, 1930 Kardinal-Staatssekretär und als Papst Pius XII. (1939—1958). 21) Johannes Maria Gföllner (1867—1941), seit 1915 Bischof von Linz. Galt als scharfer Gegner des Nationalsozialismus. 22) Richard Schmitz (1885—1954), Direktor des Volksbundes der Katholiken Österreichs, Bundesminister, später (1934—1938) Bürgermeister von Wien, einer der schärfsten Gegner Orels in der christlichsozialen Partei.