Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 26. (1973)

GÖRLICH, Ernst Joseph: Ein Katholik gegen Dollfuß-Österreich. Das Tagebuch des Sozialreformers Anton Orel

380 Ernst Joseph Görlich zu und gab daneben die Zeitschrift Das Neue Volk heraus. Zwei Bände des auf vier geplanten Werkes der Oeconomia Perennis erschienen 1930 im Matthias-Grünewald-Verlag (Mainz). Doch es gab Schwierigkeiten mit den kirchlichen Behörden. Das Ordinariat Wien verweigerte schon 1928 Orel das Imprimatur des erst im Manuskript vorliegenden Werkes. Im Jahr 1929 erteilte zwar das Ordinariat in Limburg/Lahn die Druckbewilligung, doch man nahm sie zurück, als man von der ablehnenden Haltung des Wiener Ordinariates Kenntnis erhielt. Das Werk erschien ohne kirch­liches Imprimatur. Daraufhin wurde es im November 1931 von der öster­reichischen Bischofskonferenz zum „verbotenen Buch“ erklärt. Orel ver­sucht in der Oeconomia Perennis eine durchlaufende, ununterbrochene antikapitalistische Tradition der katholischen Kirche herauszuarbeiten. Insbesonders unternimmt er es, ein kirchliches Verbot des Kapitalzinses bis auf den heutigen Tag zu belegen. Auch Anhänger Orels, wie der spätere Universitätsprofessor Dr. August Maria Knoll (1900—1963), stan­den einer Reihe von Thesen, die Orel in seinem Buch entwickelte, kritisch gegenüber. Im Jahr 1929 fand eine „Katholisch-Soziale Tagung“ in Wien statt, die von den offiziellen Katholikenorganisationen veranstaltet wurde. Auch der Gegner Orel’scher Auffassungen wird bei objektivem Studium dieser Tagung feststellen müssen, daß Orel, der daran teilnahm, oft durch eine beinahe terroristische Führung der Diskussionsleitung daran gehindert wurde, seine Ansichten öffentlich in diesem Rahmen zu vertreten 10). Auf diese — von Orel so empfundene — Brüskierung antwortete er mit der Gründung der „Studienrunde katholischer Soziologen“. Ihr Vorsitzender war der Grazer Mittelschulprofessor Alois Kabelka (gest. 1971), Abt Dr. Alois Wiesinger von Schlierbach war Schriftführer. Weitere Teilneh­mer (dauernd oder zeitweise) waren der heute in der Bundesrepublik Deutschland wirkende Dr. Eugen Kogon (damals stellvertretender Chef­redakteur der Wochenschrift Schönere Zukunft), Hochschulprofessor Dr. Karl Lugmayer (nach 1945 Unterstaatssekretär in der provisorischen Regierung), der St. Pöltner Theologieprofessor Dr. Alois Schrattenholzer, der Wiener Fabrikant Johannes Ev. Zacherl, der Führer der katholischen Abstinentenbewegung Physikatsrat Dr. Josef Pörner, der bekannte Theo­loge und Lebensreformer DDDr. Johannes Ude und der Generalsekretär des „Deutschen Katholischen Akademikerverbandes“ Dr. Franz Xaver Landmesser. Die „Studienrunde katholischer Soziologen“ arbeitete bis zum Ein­marsch der nationalsozialistischen deutschen Truppen in Österreich im März 1938. Ihr wichtigstes Ergebnis war die Herausgabe eines Katholisch- Sozialen Manifestes, das die Grundsätze der Vogelsang-Orel-Bewegung 10) Die offiziellen Berichte über diese Tagung sind sehr einseitig gefärbt und als unobjektiv anzusehen.

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