Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 25. (1972) - Festschrift für Hanns Leo Mikoletzky

DIRNBERGER, Franz: Paul Kornfelds Tragödie „Himmel und Hölle“ als Opfer der Zensur

430 Franz Dirnberger erledigt, was er auch Kornfeld mitteilte. Denselben Sachverhalt schrieb die Staatstheaterverwaltung der Genossenschaft der dramatischen Schrift­steller und Komponisten auf deren Briefe als Antwort (welche von Hof­rat Löw konzipiert wurde): daß man Kornfeld und den anderen anfra­genden Stellen nur den Verbotserlaß — und nicht die Gründe — mitgeteilt habe, versuchte man als „Mißverständnis“ glaubhaft zu machen * 35). Die offiziellen Beweggründe des Verbotes sickerten nun langsam in die Öffentlichkeit durch. Wieder war es Bahr, der zur Feder griff und die amtlichen Überlegungen unter die Lupe nahm36): „Tagebuch. 26. März. Nun hab ich’s schwarz auf weiß, wie die Geistesfrei­heit in Österreich gemeint ist: der Akt, durch den dem Burgtheater ,untersagt“ wird (schon das Wort riecht nach blühendem Polizeistaat), Paul Kornfelds ,Himmel und Hölle“ aufzuführen, liegt in Abschrift vor mir, ein Dokument, das dereinst in keiner österreichischen Literaturgeschichte fehlen wird, wofern es so etwas wie ein dereinst für uns noch geben und in einem Land, wo derlei Dokumente wachsen können, so etwas wie Literatur noch ermöglichen werden sollte. Der Schöngeist im BM f. I. ergeht sich zunächst in etwas vagen Be­trachtungen: .Dieses Stück“, sagt er, .nimmt die Darstellung seelischer Probleme zum Vorwurf, die sich daraus ergeben, daß die Hauptpersonen teils im Kampfe gegen ihre besseren Empfindungen grobsinnlichen Trieben erliegen, zu den schwersten Ausartungen hemmungsloser Leidenschaft hingerissen werden und ihre Verfehlungen und qualvollen seelischen Konflikte büßen, teils durch den Druck des auf ihnen lastenden Schicksals auf die Bahn des Verbrechens ge­drängt und zu moralischer Verkommenheit herabgedrückt werden, um schließ­lich in einem durch Selbstaufopferung herbeigeführten Tod für ihr lasterhaftes Leben Sühne zu suchen“. Nun, das stimmt ungefähr, aber ungefähr kann man das auch von den Bakchen oder der Elektra des Eurypides, vom Macbeth, Hamlet oder Othello, von Faust sogar, man kann ungefähr von jeder Tragödie sagen: fängt der Mensch erst einmal an, mit seinen .besseren Empfindungen“ Herr über die .grobsinnlichen Triebe“ zu werden, so hört er ja meistens auf, tragisch zu sein; fürs Theater ist er dann nur noch als Lustspielfigur vorhan­den. Aber der Ankläger fährt fort: ,die Grundtendenz des ganzen Stückes, welches dahin ausklingt, daß alle diese Ausschreitungen als entschuldbare Fol­gen der von der Vorsehung gewollten Schwäche menschlicher Natur und daher als verzeihlich hingestellt werden, ist geeignet, das sittliche Empfinden des Zu­hörers zu verletzen“. Des Zuhörers? Wer ist das, ,der“ Zuhörer? Im Burgtheater hören an zweitausend Leute zu, jeder hat ein anderes sittliches Empfinden, welches hat Anspruch, als ,das sittliche Empfinden des Zuhörers“ gelten zu müssen? Das meine wird durch unseren Katechismus, das meines Nachbars vom Rabbiner, ein anderes wieder von Lenin bestimmt, und da man jeden, der den Preis für seinen Sitz bezahlt, hineinläßt, wird man auch jedem das sittliche Empfinden, das er mitbringt, gelten lassen müssen. Einig aber dürften alle darin sein, daß sie sich ihr sittliches Empfinden nicht vom BM. d. I. bestimmen lassen. Ob diese Behörde einen Sinn oder Zweck hat und welchen etwa, das übersteigt die Fähigkeiten meiner Urteilskraft, aber wenn das BM. d. I. den Namen einer moralischen Anstalt verlangt, muß ich sagen, daß ich vorziehe, hinfort lieber zu den unsittlichen Menschen gerechnet zu werden. Daß Sün­35) ThV r. 35—1/1—4, ZI. 1241/1922. 35) Neues Wiener Journal 1922 April 16, 6 f.

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