Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 24. (1971)

SCHMID, Georg E.: Die Coolidge-Mission in Österreich 1919. Zur Österreichpolitik der USA während der Pariser Friedenskonferenz

Die Coolidge-Mission in Österreich 1919 441 Es ist erstaunlich, wie rasch in Wien bekannt wurde, daß eine Mission, über deren Aufgaben, Organisation und Natur natürlich nur Vermutun­gen angestellt werden konnten, eintreffen würde. Schon am 26. Dezember 1918 wurde aus Bern mitgeteilt, daß in der Schweizer Hauptstadt durch aus Paris kommende Diplomaten bekannt geworden sei, daß „wahrschein­lich nächste Woche eine von der Lebensmittelkommission unabhängige Kommission von zehn bis zwölf Amerikanern nach Bern kommen und dann nach Wien Weiterreisen will“ 27). Es ist schwer zu entscheiden, ob es sich dabei um eine beabsichtigte, gezielte Indiskretion von amerikanischer Seite handelte — eine Vermutung, die immerhin naheliegend wäre, da das Telegramm einige Details mit erstaunlicher Genauigkeit enthält. Noch am gleichen Tag kam die prompte Reaktion von Wien: Der Staats­sekretär für Auswärtiges, Otto Bauer, wies die Gesandtschaft in Bern an, der Kommission die Einreise möglichst zu erleichtern, wohl nicht zuletzt in der Annahme, daß man sich von der Mission eventuell Vorteile zu erhoffen hätte 28 *). Inzwischen nahm Coolidge in Bern seine ersten Kontakte auf, die je­doch mit wenigen Ausnahmen keinen wesentlichen Informationswert hatten: „Poles, Bulgarians, Roumanians, Hungarians, Lithuanians, Austri­ans, some of them triumphant, some of them pathetic, all convinced of the Justice of their claims, and all hoping or fearing great things from the Peace Commission in Paris and from President Wilson“ — um es mit Coolidges eigenen Worten auszudrücken2B). Über jene Unterredungen, die ihm wichtig erschienen, sandte Coolidge noch vor seiner Weiterreise nach Wien einen kurzen Bericht an die Kommission in Paris, ohne aber eine klare Unterscheidungslinie zwischen den drei Persönlichkeiten zu ziehen, die er namentlich erwähnte, nämlich Dr. Leopold Baron Hennet, Dr. Rudolf Ritter von Schwarz-Hiller und Dr. Adler30). Es ist sehr zweifelhaft, ob die Kommission in Paris mit diesen Namen etwas anzu­fangen wußte, Coolidge jedenfalls wies bereits auf einige Argumente hin, die ihm vorgetragen worden waren, unterließ zunächst jede Bewer­tung und beschränkte seinen Kommentar auf die lakonischen Worte, daß Lieutenant H. G. Campagnoli, Lieutenant R. C. Foster, F. E. Parker, sowie vier Kuriere. 27) Streng vertrauliches Telegramm von Baron de Vaux (Bern) an das Staatsamt des Äußeren in Wien, 1918 Dezember 26: Haus-, Hof- und Staats­archiv Wien (abgekürzt: HHStA) Neues Politisches Archiv (abgekürzt: NPA) 365. 28) Telegramm in Ziffern von Staatssekretär Bauer an die deutsch-öster­reichische Gesandtschaft in Bern, 1918 Dezember 27: ebenda. 2B) Aus einem Brief an seine Mutter, 1919 Jänner 2: Coolidge Life and Letters 196. so) Professor ... Coolidge to the Commission to Negotiate Peace, Bern, 1918 Dezember 31: FR PPC 2, 220. Bei Adler findet sich in der Dokumentenpubli- kation der Hinweis: „Vicktor [!] Adler, Austrian social democratic leader“.

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