Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 24. (1971)
HERSCHE, Peter: Erzbischof Migazzi und die Anfänge der jansenitischen Bewegung in Wien
304 Peter Hersche schrieb er dann für die Nouvelles Ecclésiastiques, deren offizieller Wiener Korrespondent er von 1776 bis 1786 war, seitenlange Artikel über den Erzbischof, deren schmähsüchtiger Ton sogar der Kaiserin mißfiel1U3). Kein Wunder, daß das Verhältnis de Termes zu Migazzi völlig vergiftet war. Demgegenüber bemühte sich Wittola, wie bereits gezeigt, bei aller grundsätzlichen Gegnerschaft, dem Erzbischof mit Verständnis zu begegnen. Auch Blarer nahm keine grundsätzlich ablehnende Haltung ein, wie die kurze Episode seiner abermaligen Tätigkeit am Wiener Seminar in den Jahren 1781 und 1782 zeigt. Blarer war bekanntlich nach dem Prozeß gegen das Brünner Seminar, wo er als Spiritual gewirkt hatte, vom Kaiser zum Oberaufseher über das Wiener Seminar ernannt wordenlu4). An eine ersprießliche Zusammenarbeit war natürlich nicht zu denken, obschon sich Blarer darum bemühte. Er legte dem Erzbischof einen Reformplan für das Seminar vor. Migazzi lobte seine guten Absichten, fand aber den Plan seiner strengen Anforderungen an Lehrer und Schüler wegen für undurchführbar 103 * I05). Zur endgültigen Entzweiung kam es dann, als der streng jansenistische Blarer eine Zeitlang mit dem Meßlesen aussetzte. In seiner Rechtfertigungsschrift Warum er seit seiner Anwesenheit in Wien nicht Mess las 106) erinnert er Migazzi an seine reformerischen Anfänge und wundert sich zwischen den Zeilen über seine Wandlung, ohne ihm aber Vorwürfe zu machen. Dem Kardinal, der sich bemühte, die Erinnerung an diese Zeit möglichst zu verdrängen 107), mußten diese Enthüllungen — die zuerst nur für ihn persönlich bestimmte Schrift erschien später auch im Druck — recht unangenehm sein. Er machte Blarer den Prozeß, und es gelang ihm nach einiger Zeit, den unbequemen Mahner wegzuschaffen. Aber auch die nunmehr als Pfarrer und Kooperatoren wirkenden ehemaligen Alumnen, die ihren reformkatholischen Idealen treu geblieben waren, bekamen die veränderte Gesinnung Migazzis zu spüren. Es gab kaum einen unter ihnen, der nicht wenigstens einmal mit dem Oberhirten 103) Wolfsgruber Migazzi 90. Der in Frage stehende Artikel erschien als Abdruck eines Briefes de Termes an Graf Dupac vom 20. März 1777 (RA Utrecht Fonds PR 2544) am 5. Juni 1777 (Wolfsgruber schreibt fälschlicherweise 1776) und wurde der Kaiserin durch Hofrat Franz Greiner übermittelt. Migazzi bemühte sich vergeblich, den Korrespondenten der Utrechter Zeitung herauszufinden; er vermutete hinter den Artikeln auch Joseph Strohmayer und Wittola. n>4) Ebenda 532 ff; Winter Josefinismus 138. los) Der Text des Plans ist abgedruckt in Blarers Vertheidigung seiner Verantwortung 31 ff. io«) vgl. oben Anm. 17. mi) Daß Migazzi Blarer statt Melchior nunmehr einigemale ausgerechnet Balthasar nennt (vgl. die Originalakten der Affäre im Erzbischöflichen Diözesan- archiv Wien, Alumnat I 1757 — 83) läßt an eine Verdrängung im Sinne der Psychoanalyse denken.