Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 24. (1971)
HERSCHE, Peter: Erzbischof Migazzi und die Anfänge der jansenitischen Bewegung in Wien
296 Peter Hersche Seminar in Brünn verteidigte, kam es zum Bruch67 68). Am wichtigsten aber war für Migazzi die Freundschaft mit Joseph Maria Graf Thun, dem späteren Bischof von Gurk und Passau 88 j. Migazzi hatte ihn vielleicht schon während seiner Studien am Germanicum kennengelernt, spätestens aber bei seinem zweiten Romaufenthalt seit 1740; Thun war damals Auditor rotae. Thun, eine der bedeutendsten Gestalten des österreichischen Reformkatholizismus 69), schuf als Bischof von Gurk in Straßburg (Kärnten) das erste Priesterseminar im aufgeklärten Geist in Österreich; diese Anstalt soll das unmittelbare Vorbild für Migazzis Neugründung in Wien gewesen sein70). Besser als über die Formung des reformkatholischen Gedankenguts in Migazzi ist man über den umgekehrten Vorgang, nämlich über dessen Rückbildung, orientiert. Denn um eine solche handelte es sich, nicht um eine plötzliche Wandlung. Der Prozeß erstreckte sich über einige Jahre. Die Jansenisten in Wien hatten wohl nicht ganz unrecht, wenn sie die 1761 erfolgte Verleihung des Purpurs an Migazzi als ersten Schritt auf seinem Weg zurück ansahen. ,,I1 a préféré le Cardinalat á la vérité“ schrieb später der Jansenist Anton de Haen und erinnert an das biblische Gleichnis vom unfruchtbaren Samen 71). Auch Bischof Firmian von Passau ließ sich später durch den roten Hut verleiten, seine früheren Anschauungen aufzugeben72 73 *). Die nächste Wegkreuzung, die Migazzi eine Entscheidung abverlangte, war das Erscheinen des Febronius im Jahre 1763. Im Streit mit Gerard van Swieten wandte sich der Kardinal gegen die Zulassung des Buches in Österreich7S). Auf derselben Linie liegt sein Votum gegen ein Werk Kollars 73a). Die Stellungnahme Migazzis brachte den Bruch seiner Freundschaft mit Stock, der an seinen früheren Anschauungen festhielt und auch für Febronius eintrat. Die Wege der beiden trennten sich, bis sie sich schließlich als erbitterte Feinde gegenüberstan67) Wolfsgruber Migazzi 14 und 528 ff, mit dem Abdruck des Briefwechsels Migazzi — Herberstein in der Angelegenheit des Brünner Seminars. 68) Ebenda 16. Eine Monographie über Thun fehlt leider. Vgl. aber Jakob Obersteiner Die Bischöfe von Gurk (1072—1S22) (Klagenfurt 1969) 451—467. 69) Wittola nennt Thun enthusiastisch, aber nicht ganz ohne Grund, einmal den „größten Bischof, den Passau jemals gehabt hat“, und an einer andern Stelle sogar den „vielleicht größten Bischof Deutschlands seit 200 Jahren“: Wienerische Kirchenzeitung 1 (1784) Register; 4 (1787) 696. io) Nouvelles Ecclésiastiques 56 (1783) 129. 71) RA Utrecht Fonds Oud-Bisschoppelijke Clerezij (im folgenden Fonds OBC) 828, 1768 September 24; Äußerungen in diesem Sinne ferner von Huber (Abendgespräche 1, 140) und in den Berichten über das Seminar (Schlözer Staatsanzeigen 2, Heft 5 [1782] 23 f und Nouvelles Ecclésiastiques 56 [1783] 129). 72) Winter Josefinismus 135. 73) Neueste Beiträge 1 (1790) 918f; Wolfsgruber Migazzi 389; Winter Josefinismus 41, 85. 73a) Ferdinand M a a s s Der Josephinismus 1 (FRA 11/71, 1951) 45.