Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 24. (1971)
HERSCHE, Peter: Erzbischof Migazzi und die Anfänge der jansenitischen Bewegung in Wien
Erzbischof Migazzi und die Anfänge der jansenistischen Bewegung in Wien 285 Stellung 23). Bei Migazzi aber war die Gegnerschaft zu der Sozietät eindeutig theologisch motiviert, was schon seine eben erwähnte Stellungnahme zur theologischen Literatur zeigt24). Dem von ihm geförderten Wittola soll er einmal den Rat gegeben haben: „Will er ein guter Gottesgelehrter werden, so muß er keine Jesuiten lesen“ 25). Um dem seit der Gegenreformation auch in Österreich bevorzugten Katechismus des Petrus Canisius das Wasser abzugraben, veranlaßte der Kardinal eine lateinische und deutsche Neuausgabe des Römischen Katechismus. Für den Volksgebrauch ließ er außerdem durch Johann Friedrich Goll, der besonders als Übersetzer jansenistischer Literatur bekanntgeworden ist, einen Auszug aus diesem Katechismus hersteilen; eine französische Version dieses Auszugs verfaßte Johann Baptist de Terme, später eine der führenden Gestalten unter den Wiener Jansenisten26). Aber Migazzi begnügte sich nicht damit, gute Bücher zu empfehlen und die jesuitischen abzulehnen, er ging mit noch weit schärferen Mitteln gegen die ihm verderblich scheinenden Lehrmeinungen der Gesellschaft Jesu vor. Am Osterdienstag 1759 hatte der Jesuit Neumayer in Augsburg, damals einer Hochburg der Sozietät, eine Predigt gehalten, worin er den Probabilismus verteidigte 27). Sie wurde bald gedruckt und in dieser Form auch in Wien verbreitet. In einem Hirtenbrief vom 29. Mai 1759 nahm Migazzi scharf gegen die Predigt Stellung. Er erreichte, daß die Broschüre von der Zensur verboten wurde, und intervenierte später sogar in Rom, mit dem Erfolg, daß die Predigt auch dort verurteilt wurde 28). Im selben Hirtenbrief wandte er sich auch gegen das Buch Histoire du Peuple de Dieu 2S) Vgl. Peter H e r s c h e Gerard van Swietens Stellung zum Jansenismus in Internationale Kirchliche Zeitschrift 61 (1971) 33—56. 24) Daran möchten wir auch gegen Wolfsgruber festhalten, der die Ursache des gespannten Verhältnisses Migazzis zum Jesuitenorden in erster Linie darin sehen will, daß jener seine bischöflichen Rechte den Orden gegenüber kraftvoller vertreten habe (vgl. Wolfsgruber Migazzi 159ff). Allerdings enthielte dann der von Wolfsgruber in diesem Zusammenhang zitierte (160) Brief Migazzis an Crivelli eine offensichtliche Unwahrheit. 25) Ignatz de Luca Lebensgeschichte des Propstes Marx Anton Wittola (Wien 1789) 11. 2<i) Catechismus ex Decreto S. S. Concilii Tridentini ad Parochos (Wien 1760); Römischer Katechismus, zum allgemeinen Gebrauch ... (Wien 1763); Auszug aus dem Römischen Katechismus ... bearb. von Johann Friedrich Goll (Wien 1764); Extráit du Catéchisme Romain ... par M. l’Abbé Jean Frédéric Goll... et traduit de l’allemand par 1’ Abbé Jean Bapt. D e t e r m e (Wien 1766). 27) Nouvelles Ecclésiast.iques 33 (1760) 169, 47 (1774) 42 und 185; Neueste Beiträge zur Religionslehre und Kirchengeschichte 1 (1790) 443. — Die bei Cratz in München 1759 erschienene Druckfassung trug den Titel Frag, ob der Probabilismus, oder die gelindere Sitten-Lehr Catholischer Schulen abscheulich und zu vermaledeiyen seye? 28) Vgl. Biblioteca Vaticana Cod. lat. 8463 fol. 145—147.