Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 24. (1971)

HERSCHE, Peter: Erzbischof Migazzi und die Anfänge der jansenitischen Bewegung in Wien

284 Peter Hersche Migazzi angegriffenen Werke waren den Jansenisten ein Dorn im Auge, und ihre internationale Zeitschrift Nouvelles Ecclésiastiques versäumte keine Gelegenheit, diese „ouvrages si pernicieux“ und ihre Verfasser mit den unflätigsten Beschimpfungen zu überschütten. Zum Studium der Kirchengeschichte empfahl der Erzbischof die Werke von Godeau und Fleury n). Beide griffen auf die Urkirche als erstrebenswertes Ideal einer Kirchenreform zurück, kritisierten dagegen die Entwicklung der Kirche im Mittelalter und die Scholastik als Verfallserscheinung. Deshalb und ihrer ausgeprägt gallikanischen Tendenz wegen waren die beiden Werke auch in jansenistischen Kreisen hochgeschätzt. Seinen jungen Freund Blarer ermahnte Migazzi persönlich, Fleurys Werk, das später von dem bekannten österreichischen Jansenisten Marx Anton Wittola teilweise auch ins Deutsche übertragen wurde, fleißig zu lesen 19 20). Am Seminar sollten ferner die Werke Bossuets gelesen werden, aber auch Pascals Provinzial­briefe21); endlich verwendete Migazzi darin den bekannten jansenisti­schen Catechisme de Montpellier von Pouget und Colbert22). Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Trautson, der bei seinen Reformen mit Jesuiten zusammenarbeitete, war Migazzi in seinen ersten Wiener Jahren ein abgesagter Feind der Gesellschaft Jesu. Die seit der Mitte des 18. Jahrhunderts zunehmende Feindschaft weiter Kreise gegen den Orden entsprang ganz verschiedenen Motiven, sie ist daher, wie im Falle Gerard van Swietens, keinesfalls ein notwendiges Kriterium jansenistischer Ein­Die von Migazzi verwendeten Werke waren Antoine Godeau Morale chré- tienne (1709), Francois Genet (Genetti) Théologie morale ou solution des cas de conscience selon l’Ecriture sainte (1670), Noel (Natalis) Alexan­der Theologia dogmatica et moralis secundum ordinem Catechismi con­cilii Tridentini (1694). Das Verhältnis dieser drei Theologen zum Jansenismus wird sehr unterschiedlich beurteilt: Heinrich Klomps Ehemoral u. Jansenismus (Köln 1964) rechnet sie ohne weiteres zu den Jansenisten; Appolis Entre Jansénistes et Zelanti zählt sie mit anderen dagegen zur „tiers parti“ zwischen den „Rigoristen“ und den „Laxisten“, wobei er sich auf zeitgenössische Aussagen stützt. Zweifellos nahmen diese Theologen eine gewisse Mittelstellung ein, stan­den aber im Prinzip gleichwohl dem Jansenismus näher als seinem Gegenpol. Daß die Abgrenzung, um die sie sich bemühten, eine künstliche war, wurde ebenfalls schon von Zeitgenossen bemerkt, unter den österreichischen Janseni­sten z. B. von Huber und Wittola (Huber Abendgespräche 2, 11; Wienerische Kirchenzeitung 2 [1785] 356). 19) Antoine Godeau Histoire de l’Eglise (1663—1678); Claude Fleury Histoire ecclésiastique (1691—1723). Vgl. Novelle Letterarie 21 (1760) 316 und Blarer Unterthänigste Verantwortung 6, 9, 13. 20) Ebenda. Diese deutsche Teilübersetzung erschien in drei Bänden erstmals 1771 bei Trattner unter dem Titel Des Herrn Abts Klaudius Fleury Be­trachtungen über die Kirchengeschichte und die Rechtfertigung derselben. 21) Schlözer Staatsanzeigen 2, Heft 5 (1782) 17. 22) Novelle Letterarie 21 (1760) 316. Vgl. zu Migazzis Literaturempfehlun­gen auch noch den bei Klingenstein Staatsverwaltung und kirchliche Autorität abgedruckten Brief (Quellenanhang 4) 216 ff.

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