Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 23. (1970)

NECK, Rudolf: Sammelreferat. Zeitgeschichte

438 Literaturberichte samkeiten auskommen. Nicht allein der Satz: „Von den Kroninsignien des Alten Reiches geht eine Würde aus, der sich kaum ein Betrachter entziehen kann. Der Eindruck, vor einem Heiligtum zu stehen, ist so stark, daß fast jeden Tag Blumen vor den Glaskästen mit den Symbolen und Gewändern in der Wiener Schatzkammer niedergelegt werden“ (S. 1), stimmt nicht, auch die Überschätzung des Aussagewertes der Akten, die ihm als Beweismittel dienen und die den Hauptteil des zweiten Bandes ausmachen, verwundert ein wenig, da nirgends gefragt wird, wie weit diese Berichte und Memoires, diese Denkschriften und Gutachten den Tat­sachen entsprechen, wie weit sie der Herren eigener Geist sind und wie derartige Instruktionen und Weisungen auch wirklich durchgeführt wur­den. Dazu kommt die Einseitigkeit der Betrachtung: A. hört nur die Mei­nung, die er gerade braucht, weil sie ihm entspricht: Wenn er Goethe — wie auch manchen andern aus zweiter Hand — zitiert und hervorhebt, er habe Joseph II. als einen Monarchen bezeichnet, den „alle wahren Demokraten als . .. Heiligen anbeten sollten“ (S. 107), so übersieht er gern jene Feststellung in der Italienischen Reise, wo Goethe 1787 notiert, man sei in Neapel gedrückt „durch die Furcht vor Joseph dem Zweiten. Das Bild eines Despoten, wenn es auch nur in der Luft schwebt, ist edlen Menschen schon fürchterlich“. Und obwohl der Kaiser natürlich berech­tigt war, die deutschen Landesherren als Reichsstände aufzufassen, so war man sich doch spätestens seit Reformation und Dreißigjährigem Krieg darüber im klaren, daß es sich hier um eigene Territorien handelte, deren Zugehörigkeit zum „Reich“ keineswegs selbstverständlich oder Pflicht­erfüllung, sondern willentlich war und teuer erkauft werden mußte. Der erste Band gliedert sich in sechs große Kapitel: Das erste und wohl wichtigste behandelt die Reichsverfassung am Ende des 18. Jahrhunderts. Es folgen die Erneuerung der österreichisch-preußischen Rivalität und das Reich in den Jahren von 1778 bis 1785, der Fürstenbund, die Teilung Deutschlands, das Ende der Reichskirche: die Säkularisation, und schließ­lich: Das Reich nach dem Reichsdeputationshauptschluß. Der zweite Band bietet 63 ausgewählte Aktenstücke von Kaunitz (1778) bis Friedrich Stadions Gutachen über die Zweckmäßigkeit der Beibehaltung oder der Niederlegung der deutschen Kaiserkrone (1806: Stadion selbst spricht von der „römisch-deutschen Kaiserkrone“), die Aufzählung der durchgear­beiteten Archive, eine Bibliographie mit 2233 Titeln sowie ein Sach- und ein Personenregister. Das Ganze ist ausgezeichnet geschrieben und mit Engagement und großer Sorgfalt verfaßt, auch die zum Teil seltenen Abbildungen sind mit Geschick ausgewählt, so daß das Buch ein echter Gewinn ist, wiewohl es ein Gebilde als lebendig auszugeben sucht, das in Wahrheit schon tot war und nicht erst am Gegensatz Österreich-Preußen starb, wie ihn die Abschnitte 2—6 zu zeichnen trachten. Sicherlich rotierte die „Reichsmaschinerie“ (S. 362) weiter: So lange es Beamte gibt, werden sie ihre Pflicht in irgendeinem Sinn erfüllen. Auch die Beamtenschaft im römischen Imperium ging noch nach dem 23. August 476 ins Amt und erledigte das ihr Aufgegebene, bis sie abgelöst wurde. Aber vor Preußen gab es schon Bayern, dessen Egoismus ebenso wie der Preußens und Österreichs eine harmonische Einigung nur dann zuließ, wenn sie den

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