Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 23. (1970)
NECK, Rudolf: Sammelreferat. Zeitgeschichte
Rezensionen 437 Karl Otmar Freiherr von A r e t i n, Heiliges Römisches Reich 1776—1806. Reichsverfassung und Staatssouveränität. (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 38.) 2 Bände. Franz Steiner Verlag, Wiesbaden 1967. XX, 506 S. u. 16 Abb.; VIII, 450 S. Wenn Heinrich von Srbik in der Vorrede zum ersten Band seiner Deutschen Einheit betont, daß er „für das Jahrtausend von Karl dem Großen bis zum Ende des alten Reiches auf der wissenschaftlichen Literatur aufbauen“ konnte und mußte (S. 11), so ist A.s Werk, „von einem naiven Interesse an dem, was war, ausgehend, ... aus den Akten entsprungen“ (S. V): Denn,wie richtig festgestellt wird, die Geschichte des Heiligen Römischen Reiches ist „in der Neuzeit ... bis heute nicht geschrieben“ worden. Freilich ist auch sein Mittelalter fast stets aus der verklemmten geistigen Einstellung des romantischen Zeitalters heraus betrachtet worden: „Erinnert sei nur an die Reichsschwärmerei der 20er und 30er Jahre, in der an die vermeintliche mittelalterliche Bedeutung des Reiches im Sinne einer Vorherrschaft über Europa angeknüpft und ein Machtstaatsideal entwickelt wurde, das dem Reichsbegriff des Mittelalters nicht weniger fremd war als der Rechtsordnung der neueren Reichsgeschichte“ (Aretin). Alfred Hoffmann sagte einmal (1954), daß königliche Privilegien im Mittelalter „bloße Konzessionen ohne einen realen Machthintergrund“ waren: „All unser Bemühen, hier eine ,vernünftige Ordnung1 hineinzubringen, erweist sich als vergeblich, weil es eine solche Ordnung im Mittelalter eben gar nicht gegeben hat“. Es wird immer gern vom Reich, vom deutschen Herrscher usw. gesprochen und dabei häufig übersehen, daß „die praktische Durchsetzung der Rechts- und Herrschaftsansprüche ... von der jeweils gegebenen Machtposition bestimmt und in einem unaufhörlichen Wandel begriffen“ war. Es ist das große Verdienst A.s, den Versuch einer Klarstellung der Tatbestände zumindest für einen wichtigen Zeitabschnitt unternommen zu haben und dabei von Grundlagen ausgegangen zu sein, die nicht allzu häufig Betrachtung erfahren, freilich auch nicht immer unbedingt verläßlich sind. Wohl hat schon Dietrich Schäfer 1888 gefordert, es sei die Aufgabe des Historikers, „den Staat zum Verständnis zu bringen, seinen Ursprung, sein Werden, die Bedingungen seines Seins, seine Aufgaben“. Daß darunter nicht ausschließlich politische Geschichte zu verstehen ist, was man auch gelegentlich findet, liegt auf der Hand, und auch A. (geb. 1923) hat seine, auf seiner Habilitationsschrift beruhende Arbeit keineswegs so aufgefaßt. Um die noch weit in das Zeitalter Napoleons hineinreichende und diesem ob ihrer, wenn man so sagen darf, imaginären Wirklichkeit lästige Institution in eine „Reichsfunktionsgeschichte“ zu bannen, wagt er denVersuch, den Zusammenbruch des Alten Reiches aus den politischen, geistigen und sozialen Veränderungen am Ausgang des 18. Jahrhunderts zu erklären, wobei er die Reichsverfassung vor allem als Rechts- und Friedensordnung und die Staatssouveränität als auf Machtmitteln beruhende und Gewalt ausübende Ordnung betrachtet. Der konservative Verfasser, der nicht ohne romantische Wehmut die Ansicht vertritt, die Auflösung des Reichs wäre ohne Druck von außen gar nicht nötig gewesen, wie die Versuche einer Neugestaltung seit 1815 beweisen, kann allerdings nicht ohne einige Gewalt-