Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 23. (1970)

HÖFLECHNER, Walter: Die „Regule ad extrahendum litteras ziferatas sine exemplo“

378 Walter Höflechner jedoch eine plausible Erklärung und Stützung für die Annahme der Autor­schaft des Simonetta, von deren Gegebenheit er letztlich weitgehend überzeugt ist, wovon ja bereits der Titel seiner Untersuchung zeugt. Von Perret an laufen die Regeln ohne jede Diskussion unter dem Namen Simonettas, insbesondere seitdem Aloys Meister, der unbestritten beste Kenner der Problematik der Kryptographie im deutschen Sprachraum, sich Ferrets Meinung angeschlossen hat 5). Alf io Rosario Natale schließlich druckt die Regeln ohne jeden Kom­mentar im Rahmen der Wiedergabe der Diarii unter dem der Eintragung vorangehenden Datum des 4. Juli 1474 ab, einem Datum, das auch Meister als Entstehungszeit akzeptiert. Dies bedeutet ein Übergehen der von Perret6) geäußerten Meinung, daß die Regeln vielleicht im Zuge der Niederschrift eines aus Simonettas Feder stammenden Kanzleitraktats für Francesco Sforza im Jahre 1465 verfaßt worden seien 7). Für den gründlichen Perret, aber auch für Meister, der schon einiges Chiffrenmaterial aus der mailändischen Kanzlei kannte, ergaben sich nun aus dem Inhalt der Regeln und dem der Abfassungszeit von 1465 bzw. 1474 entsprechenden Entwicklungsstadien des Chiffrenwesens in Mailand etliche Divergenzen. Zum Verständnis der folgenden Darstellung und Überlegung sei das Wesentlichste über ihren Grundcharakter und Inhalt angeführt. Wenn ein Text mit Hilfe eines einfachen Schlüssels 8) chiffriert wird, entspricht die Häufigkeit der Chiffrenzeichen in ihrem Vorkommen der der normalen Buchstaben, d. h. es finden sich verschiedene Möglichkeiten, die schwächsten Punkte zu finden und zur Entzifferung auszuwerten, und dies sind natürlich die Vokale. Da sich die Regeln nun auf Texte in la­teinischer oder italienischer Sprache beziehen, kann auf die Besonder­heiten dieser beiden Sprachen eingegangen werden. Diese sind vor allem für das Italienische sehr günstig: alle Wörter enden auf Vokale. Auf dieser Grundlage weist die erste Regel an, wie man erkennen könne, in welcher Sprache der vorliegende Text verfaßt sei, noch ehe man ihn versteht: wenn die Wörter auf maximal fünf verschiedene Zeichen endi­gen, liegt ein italienischer Text vor; ansonsten ein lateinischer. Auf Grundlage der Erkennbarkeit der Vokale baut das Entzifferungs­system auf: Wörter mit ein, zwei und drei Buchstaben bilden die Schlüs­selstellen für den Einbruch in das System. Mit der Problematik der Konsonanten befaßt sich der Autor nicht; er dürfte vielmehr der berech­tigten Ansicht gewesen sein, daß diese sich in der Folge rasch und un­schwer zu erkennen geben dürften. 5) Meister Anfänge 27: „Wahrscheinlich ist Cicco Simonetta ... der Ver­fasser“; dazu die Anm. 1. 6) Perret Les régies 517. 7) Dieser Meinung schließt sich offensichtlich auch James Westfall Thomp­son Secret diplomacy, a record of espionage and double-dealing 1500—1815 (London 1937) an. 8) Die von Wilhelm G e r 1 i c h Die Entzifferung von historischen Geheim­schriften in MÖStA 1 (1948) 445—469 verwendete Terminologie wird hier der Einfachheit halber nicht angewandt.

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