Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 23. (1970)

GARDOS, Harald: Ballhausplatz und Hohe Pforte im Kriegsjahr 1915. Einige Aspekte ihrer Beziehungen

Ballhausplatz und Hohe Pforte im Kriegsjahr 1915 293 jungtürkischen Regimes und die Gefahr eines gewissen Gegensatzes zu Deutschland hatten ein solches Projekt aussichtslos gemacht. Die neue Vorgangsweise beruhte daher auf dem Gedanken der Staatsangehörigkeit; die ausgeschalteten französischen und italienischen Missionäre sollten durch Angehörige der Monarchie ersetzt werden. Auf einen Prestigege­winn im Osmanischen Reich wollte der k. u. k. Außenminister aus poli­tischen und volkswirtschaftlichen Gründen nach wie vor nicht verzichten. Allerdings war die Aktion durch die Beiziehung deutscher Katholiken zu der Wiener Versammlung über die Grenzen der Monarchie hinaus erweitert worden, so daß sie zu einem Werkzeug der deutschen Orient­propaganda zu degenerieren drohte. Berlin hatte bereits Schritte unter­nommen, um die Erbschaft der französischen und italienischen Missionäre und der verwaisten Kirchen und Anstalten anzutreten * 194 19S). Für Markgraf Pallavicini stellte ja die Gewinnung eines entscheiden­den Einflusses in der Türkei das Hauptziel des Krieges dar. Doch die Verdrängung französischer Sprache und Kultur schien ihm eine gewaltige Aufgabe, die durch den Chauvinismus der Jungtürken beträchtlich er­schwert wurde. Unter diesen Umständen war mit einer Übernahme der geschlossenen Klöster und Schulen durch österreich-ungarisches und deutsches Missionspersonal nicht zu rechnen. Auch der Botschafter be­fürchtete ein Übergewicht der Deutschen, da diese über viel bedeutendere Hilfsmittel verfügten. Er riet dennoch, mit ihnen gemeinsam aufzutreten, sich aber einen entsprechenden Anteil am Erfolg auszubedingen. Die An­regung Erzbergers, in verschiedenen Ortschaften, die bisher von franzö­sischen oder italienischen Geistlichen betreut wurden, Seelsorgestationen zu schaffen, hielt er für durchaus opportun. Weiters konnte man seiner Ansicht nach das k. u. k. Schulwesen im Osmanischen Reich systematisch entwickeln m), um auf diese Weise den geeigneten Rückhalt für eine kulturelle Expansion zu besitzen. Pallavicini hatte die Grenzen der Möglichkeiten zweifellos richtig er­kannt, die Polyglottie Österreich-Ungarns brachte den Mangel eines ein­heitlichen Stocks von Missionären mit sich, die deutsche Konkurrenz war nicht zu übersehen. Bereits Ende 1916 verfügte Deutschland über die gleiche Anzahl katholischer Geistlicher und Nonnen in der Türkei wie der Verbündete 19S). Die Zahl war jedoch auf beiden Seiten so gering, daß der politische Zweck gewiß nicht erreicht war. Es gelang lediglich, im Jänner 1916 die weitere Schließung katholischer Kirchen zu verhindern. Die Klöster und Schulen aber, die unter dem Schutze der feindlichen Staaten gestanden waren, blieben auch in Hinkunft geschlossen, die Wohl­19í>) A. a. O. Erlaß 5703: 10. XII. 15, Burián an Pallavicini. 194) A. a. O. Ber. 105/C: 31. XII. 15, Pallavicini an Burián. i®5) Erzberger Erlebnisse 71.

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