Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 23. (1970)
GARDOS, Harald: Ballhausplatz und Hohe Pforte im Kriegsjahr 1915. Einige Aspekte ihrer Beziehungen
294 Harald Gardos tätigkeitsanstalten wurden unter türkische Verwaltung gestellt196). Der Traum vom Kaisertum als Hort des Katholizismus hatte sich im Orient nicht erfüllt. Allzu ernst war er von der Diplomatie nie genommen worden. Erst nach der Thronbesteigung Kaiser Karls regten sich jene Kreise wieder, die eine kultuspolitische Aktion im Osmanischen Reich zu forcieren trachteten 197). Der Erfolg blieb auch diesmal aus, die Pforte zeigte sich unnachgiebig. V Das Osmanische Reich war in den Krieg eingetreten, um seinen Untergang, die endgültige Aufteilung, zu verhindern. Es hatte damit der Donaumonarchie den großen Dienst geleistet, starke russische Kräfte im Kaukasus zu binden, die nicht an der Hauptfront eingesetzt werden konnten. Maßgeblichen Einfluß übte die türkische Kriegsbeteiligung auf die neutralen Balkanstaaten aus, von denen einer, Bulgarien, sich in der Folge direkt an die Mittelmächte anschloß. Mehr hatte sich die österreich-ungarische Diplomatie an Hilfe nicht erwartet, die deutschen Pläne in Ägypten und Persien waren für sie nicht von Interesse, da sie sich gegen England, mit dem der Habsburgerstaat keine Front besaß, richteten. Ihm kam es vor allem darauf an, die russischen Aspirationen am Balkan zunichte zu machen, um nicht selbst das Opfer einer Zerstückelung zu werden. Die Monarchie jedoch sah sich im ersten Kriegsjahr nicht in der Lage, dem südöstlichen Verbündeten militärische oder wirtschaftliche Unterstützung in größerem Ausmaße angedeihen zu lassen. Erst der Anschluß Bulgariens nach zähem diplomatischem Ringen, die Niederwerfung Serbiens und die in der Folge frei gewordene „Balkanstraße“ ermöglichten die Zufuhr von Kriegsmaterial. Denn schon stöhnte die Türkei unter der bedrohlichen Lage an den Meerengen, konnte nur mit Mühe den feindlichen Angriffen standhalten. Ein neuer Gegner, Italien, tauchte am Horizont auf; daß er nicht an die Dardanellen kam, war nur der österreich-ungarischen „Mauer“ zu danken, die ein Abziehen italienischer Truppen nicht zuließ. Die Meerengen und mit ihnen die Hauptstadt des Osmanischen Reiches wurden erfolgreich verteidigt, die Ententeheere nach Saloniki überführt. Einem Separatfrieden der Türkei war damit vorgebeugt, die Zentralmächte einer schweren Sorge enthoben. Das Jahr 1915 hatte auf keinem der großen Kriegsschauplätze eine Entscheidung gebracht, doch die Gesamtsituation schien den drei verbündeten Reichen nicht ungünstig. Beträchtliche politische und militärische Erfolge ließen sie vom nächsten Jahr alles erhoffen. is«) pa I 978 (Krieg 34) fol. 165 f: Ber. 2/H, 8. I. 16, Pallavicini an Burián. 197) pa I 710 (C. d. M. Generalia X/l) fol. 10: Mémoire 31. III. 17, di Pauli. — Pomiankowski Der Zusammenbruch des Ottoman. Reiches 305 f.