Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 23. (1970)

GARDOS, Harald: Ballhausplatz und Hohe Pforte im Kriegsjahr 1915. Einige Aspekte ihrer Beziehungen

292 Harald Gardos Vielleicht hätten die Mittelmächte die Möglichkeit besessen, diesem Massaker Einhalt zu gebieten. Doch der völkermordende Krieg ließ Ein­satz in fremden Angelegenheiten kaum zu; wo lag die Relation zwischen einer ungewissen Anzahl von Armeniern und den ungleich größeren Menschenmassen, die man bereits auf den eigenen Schlachtfeldern ein­gebüßt hatte? Pallavicini, dessen Schritte hier fast übervorsichtig er­scheinen, trug nur seinem Auftrag als Vertreter einer kriegführenden Macht Rechnung, die gleichzeitig Verbündeter der Türkei war. Um der Vernichtung der Christen im Osmanischen Reich begegnen zu können, mußte man seiner Ansicht nach den ganzen Krieg beenden la0). Die Öffentlichkeit der Donaumonarchie wurde über diese Vorgänge natürlich nicht informiert; so konnte sich ihre Aufmerksamkeit, das heißt die Intentionen sehr einflußreicher Kreise, der Frage des Kultusschutzes zuwenden, ohne das Schicksal der Armenier weiter zu berücksichtigen. Die französischen Schulen und Missionsanstalten waren größtenteils ge­schlossen, die Geistlichen, Missionäre und Nonnen ausgewiesen. Das Be­streben der katholischen Kreise Österreich-Ungarns ging nun dahin, die Stellung einzunehmen, die Frankreich aufzugeben gezwungen war. Die­ser Plan, den die Diplomatie im Frühsommer auf Eis gelegt hatte, wurde nun auch von ihr wieder hervorgeholt. Die Christen des Orients sollten sich mit der Zeit daran gewöhnen, in ihr den beharrlichen Beschützer der katholischen Interessen zu erblicken und anzuerkennen. Hiezu war ge­schultes Missionspersonal in ausreichender Anzahl vonnöten, eine Voraus­setzung, die in der Monarchie durchaus nicht leicht zu erfüllen schien m). Auf Anregung des Außenministeriums beschäftigte sich daher die Anfang November in Wien tagende Bischofskonferenz mit diesem Problem. Und am 25. November trat hier, und einen Tag später in Budapest, eine Mis­sionskonferenz zusammen, die unter dem Vorsitz Kardinal Piffls, bzw. Csernochs, stand und sich aus den Führern der Katholiken des Landes rekrutierte. Auch eine Abordnung deutscher Katholiken unter der Lei­tung des Abgeordneten Erzberger war vertreten, was nicht ohne Ein­fluß auf das Ergebnis der Versammlung blieb. Es wurde beschlossen, daß Österreich-Ungarn und Deutschland gemeinsam die religiösen und kul­turellen Interessen der Kirche in der Türkei fördern sollten. Den tradi­tionellen Missionsvereinen, dem Maria-Empfängnis-Verein in Österreich und dem St. Ladislaus-Verein in Ungarn, wurde von der Konferenz je ein sechsköpfiges Vorbereitungskomitee beigegeben * 192). Baron Burián griff die Anregungen der Tagung bald auf; die Idee des Kultusprotektorats war endgültig fallengelassen worden. Die Ab­neigung der Kurie, Frankreich offen zu brüskieren, der Standpunkt des iso) pa I 944 (Krieg 21a) Ber. 95/A—B: 12. XI. 15, Pallavicini an Burián. isi) PA I 762 (C. d. M. Generalia X/41) Mémoire 11. XI. 15, di Pauli. 192) A. a. O. Notiz Referat II, 1. XII. 15.

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