Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 23. (1970)
GARDOS, Harald: Ballhausplatz und Hohe Pforte im Kriegsjahr 1915. Einige Aspekte ihrer Beziehungen
Ballhausplatz und Hohe Pforte im Kriegsjahr 1915 289 Pallavicini widersprach der Auffassung seines Vorgesetzten nicht grundsätzlich, gab ihr aber ein etwas anderes Gesicht. Er warnte davor, „Einfluß“ mit „Protektorat“ zu verwechseln, an welches nach Sieg oder Niederlage der Türkei nicht mehr zu denken war, und wollte sich nur inoffiziell für kirchliche Interessen verwenden 175). So rücksichtsvoll wie er ging Deutschland der Pforte gegenüber nicht vor; dieses bestärkte die Türken einerseits in ihrem Bestreben, den französischen Klerus aus Syrien und Palästina auszuweisen, trachtete jedoch andererseits, sich selbst an die Stelle des früheren Protektors zu setzen 176 177). Zu Beginn des Jahres 1915 ließ der Vatikan durchblicken, daß ihm solche Pläne nicht angenehm waren, und riet Österreich-Ungarn, durch Verhandlungen bezüglich des Schutzrechtes mit der türkischen Regierung Deutschland und ihn vor vollendete Tatsachen zu stellenm). Konstantinopel strebte nämlich direkte diplomatische Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl an, wogegen dieser durchaus nicht geneigt war, während eines Krieges ein Konkordat abzuschließen178). Doch Wien lehnte jegliche Intervention, die sich auf einen Rechtstitel stützen würde, ab; es hütete sich, die von der Pforte angestrebte Anknüpfung mit der Kurie zu hintertreiben, um nicht die eigene Stellung im Osmanischen Reich zu gefährden179 *). Markgraf Pallavicini befleißigte sich unter dem Nachfolger Graf Berchtolds nur noch größerer Vorsicht. Oftmals weigerte er sich, einem Ansuchen um seine Hilfe stattzugeben, mit der Begründung, daß sein Einschreiten die Türken zu sehr an das ihnen so verhaßte Kultusprotektorat erinnern könnte 18°). Der Plan, den Kaiser zum Schirmherrn der orientalischen Christenheit zu machen, ruhte vorläufig, der gewiegte Diplomat in Konstantinopel hatte seine politische Unzweckmäßigkeit erkannt und ihn auch nicht sehr energisch durchzuführen versucht. Es galt kleinere, aber im Augenblick wichtigere Probleme zu lösen, was die Abolition der alten Rechtsverträge betraf. Die türkischen Machthaber wollten den Katholizismus in ihrem Land auslöschen; das beste Mittel hiezu war die Schließung der durchwegs von Geistlichen geführten ausländischen Schulen oder zumindest ihre Umwandlung in staatlich kontrollierte Laieninstitute. Vor dem Krieg unterhielten zahlreiche europäische Staaten solche Anstalten im Osmanischen Reich, an erster Stelle Frankreich mit nahezu 600, während die Monarchie nur über das St. Georgs-Kolleg und drei Schulen der armeni175) A. a. O. fol. 63: Ber. 75/D, 17. XII. 14, Pallavicini an Berchtold. 17B) A. a. O. fol. 88: Ber. 150, 28. XII. 14. Ranzi an Berchtold. 177) A. a. O. fol. 97: Tel. 3, 4. I. 15, Schönburg (Vatikan) an Berchtold. i's) Matthias Erzberger Erlebnisse im Weltkrieg (Stuttgart 1920) 68, 73. 179) A. a. O. fol. 112: Referentenbemerkung Musulins 19. I. 15. iso) pa XII 209 fol. 130: Ber. 13/F, 18. II. 15, Pallavicini an Burian. Mitteilungen, Band 23 19