Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 23. (1970)

GARDOS, Harald: Ballhausplatz und Hohe Pforte im Kriegsjahr 1915. Einige Aspekte ihrer Beziehungen

290 Harald Gardos sehen Mechitaristen, die unter ihrem Schutze standen, verfügte 181). Doch unter den im Jahre 1915 herrschenden Bedingungen kostete es gewaltige Mühe, den Status dieses kleinen Bereiches zu erhalten. Langwierige Ver­handlungen, die bis in das letzte Kriegsjahr führten, zeitigten im ersten lediglich das Ergebnis, daß Österreich-Ungarn das Recht der „meistbe­günstigten Nation“, welches Berchtold schon im Dezember 1914 gefordert hatte, von der Pforte zugesichert wurde 182). Nach außen hin bemühten sich die Jungtürken, den Anschein zu er­wecken, als suchten sie nach einer echten Regelung mit der katholi­schen Kirche. Bereits im März 1915 tauchte der Gedanke auf, diese in der Türkei nach dem Muster der orthodoxen Kirche zu organisieren, um sie fester in die Hand zu bekommen. Der Ruf nach dem direkten Weg zum Vatikan schien demnach nur eine Folge des Gesamtplans, fremde Intervention in religiösen Angelegenheiten sollte auf diesem Wege für immer ausgeschaltet werden. Es ist nicht weiter erstaunlich, daß die An­regung dazu aus Deutschland kam183). Auf eine von der Staatsgewalt abhängige Kirchengemeinschaft setzte Berlin offensichtlich größere Hoff­nungen als auf ein von der Donaumonarchie oder mehreren Ländern be­wachtes Feld. Die Kurie protestierte heftig und bediente sich abermals der österreich-ungarischen Vermittlung, um die türkische Regierung von ihrer Absicht abzubringen. Mehrmalige Verwendungen Pallavicinis brachten im Sommer auch den gewünschten Erfolg 184); allerdings hatten die Tür­ken bereits andere, radikalere Mittel gefunden, um das Problem wenig­stens teilweise in ihrem Sinne zu lösen. Eines der beschämendsten Kapitel der türkischen Geschichte, bei des­sen Behandlung es sehr schwerfällt, sachlich zu bleiben, kann hier nur gestreift werden. Die Deportation und Ausrottung der christlichen Arme­nier, die vom Staat, vornehmlich von Innenminister Talaat Bey, ganz offen betrieben wurde, erregte im Ausland heftige Bestürzung. Das volle Ausmaß wurde jedoch erst nach dem Kriege bekannt, als zum Beispiel der in Deutschland geführte Prozeß gegen den Mörder Talaat Beys zahlreiche Einzelheiten enthüllte. Selbst alte Orientkenner hatte diese katastrophale Entwicklung überrascht, da noch vor wenigen Jahrzehnten das armenische Volk als „Staatstreue Nation“ weitgehende Privilegien genoß, Minister stellte und auch im Komitee „Union et Progrés“ ver­181) Friedrich von Kraelitz-Greifenhorst Die Bedeutung Kon­stantinopels und der Meerengen in Balkan und Naher Orient (Wien u. Leipzig 1916) 212. 182) pa XII 315 fol. 28 f : Erlaß 5761, 23. XII. 14, Berchtold an Pallavicini. — A. a. O. fol. 106: Beilage zu Ber. 2855/A, 2. IX. 15, Pallavicini an Außen­ministerium. — A. a. O. fol. 128: Erlaß 5084, 8. XI. 15, Burián an Pallavicini. 183) Erzberger Erlebnisse 68. 184) pa XII 209 fol. 154 f: Ber. 21/D, 18. III. 15, Pallavicini an Burián. — A. a. O. fol. 237 f: Ber. 44/E, 10. VI. 15, Pallavicini an Burián.

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