Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)

MARX, Julius: Vormärzliches Schedenwesen

Vormärzliches Schedenwesen 459 Aber nicht bloß Anverwandte, die Schriften erbten, brachten Gesuche ein, es finden sich auch solche auf Bücherausfremden Nachläs­sen. So durfte der Geschäftsführer des Prager Großhandelshauses Lämmel Werke aus dem Besitz des hingeschiedenen Schriftstellers Gerle erwerben. Seinen gesamten Bücherschatz scheint ein Pfarrer dem Magazineur des Venediger Arbeitshauses vermacht zu haben, denn allein die Nummern — Titel werden nicht angeführt — der als verboten bezeichneten 32 Werke reichen über 800. Hölzl, der die Zensurzettel vorzulegen hatte, nennt in seinem Bericht zwei Schriften: Casti, Gli animali parianti samt zwei deutschen Übersetzungen, und D’una Riforma d’Italia, die schon 1786 im Verbotskatalog angeführt wird. Er durfte alles behalten. Nachforschungen nach der Würdigkeit, wie wir sie im Falle Thornthon sahen, waren in den höheren Kreisen natürlich un­gleich leichter als in den einfacheren, bürgerlichen. In den Provinzen waren die Kreisämter mit dieser Aufgabe betraut, in den Städten, in denen es Polizeiämter gab, diese. Wie sie ihre Gutachten beschafften, wird nir­gends ersichtlich, alle gehen aber auf die nachstehend angeführten Punkte ein. Zu berichten war „über den eigentlichen Stand und die Beschäftigung dieses Schedenwerbers, über seine persönlichen und Familienverhältnisse, über seine bisherige moralische und politische Haltung, über den Grad und die Richtung seiner intellektuellen Bildung, so wie über seine Vertrauens- würdigkeit“. Zum eben zitierten Auftrag meldete die Polizei-Ober-Direk- tion, der Doktorand Rudolf Studeny, der um Rottecks Staatslexikon22) angesucht habe, besitze ein kleines Gut, sei seit 1837 in Wien, absolviere die politisch-juridischen Studien, praktiziere derzeit beim Metropolitan­kapitel für die Richteramtsprüfung und habe bereits das erste Rigorosum für das Doktorat bestanden; man könne ihm Scheden gewähren. Für einen fürstlich liechtensteinischen Registrator setzte sich die gleiche Stelle ein; er sei von hier gebürtig, in der Rossau wohnhaft, 30 Jahre alt, katholisch, ledig, habe 400 fl. K.-M. Gehalt und 300 fl. K.-M. Naturalbezüge, lebe in wohlgeordneten Verhältnissen, sei vielseitig gebildet, lese gern23). Die Landesstellen kürzen meist den Bericht ihrer untergeordneten Stellen auf die wesentlichsten Punkte und bringen dazu ihre Meinung. Beispielsweise erklärt der mährische Gouverneur Rudolf Stadion alle drei Schedenwerber auf Byrons Werke — einen Auditoriatspraktikanten, einen Nordbahnbeam­ten und einen Leutnant — für wissenschaftlich gebildet und vertrauens­würdig, was zur Bewilligung genügte. Oft wurde noch hinzugefügt, daß kein Mißbrauch zu befürchten sei. Sedlnitzky erledigte dann meist mit natur: Bulwer, Pilger des Rheins, Quedlinburg 1834, u. Rotteck, Weltgeschichte. Letzteres fehlt in Stadions Einbegleitung zum Ansuchen, wo sie angeführt sind. 22) Das Staatslexikon wurde einem Hauptmann des Geniekorps in Innsbruck und einem Oberleutnant in Brünn zugestanden; letzterem nur auf die Befür­wortung. 23) Bei Studeny fehlt die Erledigung, beim Registrator ist das Werk nicht angeführt. — Ein Musiklehrer in Mariahilf, für den die Bezirks-Polizeidirektion eingetreten war, weil er sechs Grammatikalklassen absolviert und die Prüfung über Erziehungskunde abgelegt habe, erhielt von mehreren (nicht genannten) Werken nur „Kasperle“ und „Europäische Bibliothek“.

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