Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)

MEZLER-ANDELBERG, Helmut J.: Österreichs „Schwarze Legende“. Zur Kritik an der Habsburgermonarchie durch österreichische Zeitgenossen Erzherzog Johanns

Österreichs „Schwarze Legende' 219 ihre Meinungen, zum bequemen Schlagwort ausgemünzt, stärker als nüch­terne Betrachtung die Phantasie beflügelten und weiteste Verbreitung fanden. Dazu waren allerdings ganz bestimmte politische und psychologische Voraussetzungen notwendig, wie sie die Ära Metternich zweifellos bot. Die Unzufriedenheit der anzusprechenden Kreise bereitete den Boden für gefühlsmäßige Reaktionen, die sich im öffentlichen Leben und in der Mei­nungsbildung zu oft weniger auf die Realität als auf Illusionen stützen, auf das, was man im Kampfe und in der Abwehr gegnerischer Stand­punkte für wahr halten möchte, mit allen daraus notwendig resultierenden Überspitzungen und Verschärfungen in der Bekundung eigener Ansichten. Der zum Vorstreiter besonders prädestinierte Fanatiker wird stärker als vom Drange nach Objektivität von seinem zweck- und richtungsgebundenen Wollen und seiner einseitigen Phantasie fortgerissen, die sich alles andere unterordnet. So entsteht schließlich ein Bild, in dem nicht die objektive geschichtliche Wahrheit — soweit diese überhaupt als faßbar erscheint — das einzig Maßgebende ist. Dazu treten, und gerade in bewegter Zeit, sub­jektive Elemente als bestimmend. Daher sind es weniger die Gegenstände und Zustände, von denen bewegende Wirkung ausgeht, als vielmehr die darüber im Umlauf befindlichen Meinungen4). Die so entstandenen Schlag­worte und Klischeevorstellungen erweisen nun über den aktuellen Anlaß ihrer Bildung hinaus eine erstaunliche Lebenskraft. Werden sie oft genug wiederholt, prägen sie sich dem Bewußtsein ein. Das Wissen um ihre Ursprünge geht vollends verloren und als gängige Scheidemünzen werden sie zu allgemein bekannten und altvertrauten „Wahrheiten“ aufgewertet. Vorurteile schleppen sich so fast unausrottbar dahin. Man hat den Sprachenverordnungen Josephs II., eines Herrschers, den der spätere Liberalismus als freisinnigen „Volkskaiser“ pries, den Vor­wurf gemacht, die nichtdeutschen Völker der Monarchie germanisieren zu wollen. Zu Unrecht, denn es waren nicht nationale Tendenzen, die den aufgeklärten Fürsten leiteten, sondern rationale staatspolitische Über­legungen. Die gemeinsame Geschäftssprache sollte, nach dem Vorbild west­licher Mächte, den Staat vereinheitlichen, alle Teile der Monarchie unter­einander enger verbinden und die zentralisierte Verwaltung und Rechts­sprechung untermauern. Daß sich der übereifrige Kaiser dabei über das geschichtlich Gewordene kühn und mit geringer Einfühlungsgabe in die Mentalität der Betroffenen hinwegsetzte, mußte diesen Versuch freilich scheitern lassen und letzten Endes ein dem beabsichtigten entgegengesetz­tes Ergebnis zeitigen. Der Zusammenprall mit dem heraufkommenden Nationalismus konnte nur die Kluft vertiefen und im fremdvölkischen 4) Auf das Zusammenspiel aller dieser Faktoren hat bereits W. Bauer: Die öffentliche Meinung und ihre geschichtlichen Grundlagen. Ein Versuch. Tübingen 1914, S. 49, 55, 64, verwiesen.

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