Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)
MEZLER-ANDELBERG, Helmut J.: Österreichs „Schwarze Legende“. Zur Kritik an der Habsburgermonarchie durch österreichische Zeitgenossen Erzherzog Johanns
220 Helmut J. Mezler-Andelberg Gebiet Widerstand gegen alles Deutsche schüren. Einige Jahrzehnte später war dann die Entwicklung soweit gediehen, daß sich das österreichische Kaisertum von der weitverbreiteten „Augsburger Allgemeinen Zeitung“ einen „Völkerkerker“ nennen lassen mußte, ein Klischee, das seither im In- und Auslande zu den beliebtesten Angriffswaffen gegen das alte Österreich gehört. Die Lebenskraft dieses Vorwurfs ist bis zum heutigen Tage fast nicht zu brechen, so wenig er sich bei genauerem Zusehen auch mit der Wirklichkeit deckt5). Aus der Fülle reichen Materials soll nun ein kleiner Ausschnitt zum Thema „Kritik an Österreich durch österreichische Zeitgenossen Erzherzog Johanns“ geboten werden, wobei die zeitliche Grenze für die Auswahl der Beispiele mit dem Revolutionsjahr 1848 gezogen sei. Die Meinung der Streitschriften und Pamphlete wurzelt noch in ihrem Mutterboden. Zwei bekannte Autoren seien in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt: der Tiroler Joseph Freiherr von Hormayr zu Hortenburg und der nach Amerika emigrierte Deutschmährer Karl Postl (Charles Sealsfield). Wenn dadurch manche erwartete Stimmen, etwa die Grillparzers, Anastasius Grüns und andere nicht zu Worte kommen, möge dies mit der gebotenen Beschränkung und Konzentration entschuldigt werden. Die Äußerungen der Genannten sind zudem bekannt genug. Unser Überblick sieht seine Aufgabe vor allem darin, einiges signifikante Material auszubreiten. Die Angriffe gegen Österreich erfolgen in zwei Hauptrichtungen: zunächst allgemein gegen die historische Erscheinungsform der Monarchie als eine durch das Herrscherhaus zusammengefaßte übernationale Ländermasse, dann im besonderen gegen die Person des Kaisers und seines Staatskanzlers, das Regierungssystem der Ära Metternich, seinen wohlorganisierten Polizeiapparat, die strenge Überwachung durch die Zensur und seine tatsächliche oder vermeintliche Rückschrittlichkeit, Freiheits- und Geistesfeindschaft. Beide Bereiche greifen fast unlösbar ineinander. Joseph Freiherr von Hormayr zu Hortenburg (1781—1848), aus angesehener Tiroler Familie, schon in jungen Jahren Direktor des Haus-, Hof- und Staatsarchivs in Wien, österreichischer Patriot und Kämpfer gegen Napoleon, war als Historiker und Literat äußerst fruchtbar. War seine glänzende Produktion auch nicht frei von Oberflächlichkeit, sind doch seine Verdienste um die österreichische Geschichtswissenschaft unbestreitbar6 *), seine rein wissenschaftlichen Leistungen aber in unserem Zu5) Die Ablehnung des Topos vom „Völkerkerker“ kleidet N. v. Prerado- vich: Die Führungsschichten in Österreich und Preußen (1804—1918). Mit einem Ausblick bis zum Jahre 1945. (Veröffentlichungen d. Inst. f. europ. Geschichte Mainz, 11). Wiesbaden 1955, S. 72, in den scharf zugespitzten Satz: „Nicht Österreicher beherrschten die Völker, sondern die Völker beherrschten Österreich“. 6) H. R. v. Srbik: Geist und Geschichte vom deutschen Humanismus bis zur Gegenwart. I. Salzburg 1950, S. 231 f. — A. Lhotsky: op. cit., S. 146 f.