Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)
MEZLER-ANDELBERG, Helmut J.: Österreichs „Schwarze Legende“. Zur Kritik an der Habsburgermonarchie durch österreichische Zeitgenossen Erzherzog Johanns
218 Helmut J. Mezler-Andelberg merkmal des vielschichtigen Österreichertunis, das in seinen geistig führenden Schichten weithin von einem oftmals geradezu zerstörerischen Hang zur Skepsis gegenüber der eigenen Kraft und zur Selbstironie erfüllt ist3). Das Repertoire an zum Großteil leidenschaftlichen, aber schlagwortartigen Vorwürfen gegen Österreich ist im Wesentlichen während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zusammengestellt worden. Seither braucht es nur mit gewissen zeitbedingten Modifikationen wiederholt zu werden. Auch damals wurden Angriffe gegen Österreich nicht bloß von außen her geführt oder von Angehörigen der durch die Zentralisierungsmaßnahmen der Wiener Regierung erbitterten, zu nationalem Selbstbewußtsein erwachenden und auf ihre Eigenart wie ihre ererbten historischen Rechte pochenden Völker, wie etwa der Magyaren, Tschechen, Italiener, sondern nicht minder von Söhnen der deutschen Länder des Reiches. Scharfe Kritik an Österreich kam so aus dem Herzen des Reiches selbst, von jenem Bevölkerungsteil, dem man eine führende Rolle zuschrieb und von jenen Männern, die als unterrichtet gelten konnten. Dadurch gewann sie an Autorität und wurde außerhalb der schwarz-gelben Grenzpfähle umso bereitwilliger aufgenommen. Das negative Österreichbild ist nicht zum wenigsten ein Erzeugnis Österreichs selbst und deshalb von doppeltem Gewicht und von fortwirkender Bedeutung. Es ist in seinem Wesen allerdings nicht so sehr das Produkt kühl abwägender Überlegung und objektiver, das Für und Wider in seinem ganzen Umfange kalkulierender Urteilsbildung, es entstammt vielmehr dem Zusammenprall grundsätzlich verschiedener Weltanschauungen und Staatsauffassungen, der Sphäre erregter politischer Auseinandersetzung, der Streitschrift und dem publizistisch zweckbestimmten Pamphlet. Daß der innere Zustand des Kaiserstaates sich in den Jahren Metternichs nicht in fleckenlosem Glanze darbot, wird vernünftigerweise niemand leugnen. Für eine mitunter sehr heftige Kritik gab es Ansatzpunkte genug und die Probleme wurden von verantwortungsbewußten und in ihrer Haltung dem Österreichertum und der gestaltbaren Staatsidee gegenüber durchaus positiv eingestellten Männern wiederholt aufgegriffen. Daneben allerdings zeigt sich auch eine zwar wirkungsvolle, aber doch zumeist kräftig über das Ziel hinausschießende, häufig bösartige Schwarz- in-Schwarz-Malerei, die jedoch gerade für die Einschätzung durch die Nachwelt nicht ohne Bedeutung blieb. Wir haben es weithin mit einer österreichischen Abart der Leyenda negra zu tun, jener das Spanienbild der Welt so ungemein tief und nachhaltig beeinflussenden Verurteilung der zweiten habsburgischen Macht und ihres in Traditionen gebundenen katholisch-universalistischen Konzepts, die ebenso von ihren politischen Gegnern und Konkurrenten um die Vormacht, voran den auf steigenden protestantischen Staaten, wie auch von Emigranten aus den eigenen Grenzen getragen wurde. Sie übte ihre verhängnisvolle Wirkung aus, indem 3) A. Lhotsky: op. eit., S. 200.