Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)

SUTTER, Berthold: Erzherzog Johanns Kritik an Österreich

Erzherzog Johanns Kritik an Österreich 207 Aufmerksamkeit galt dem russischen Reiche, von welchem er unmittel­bare Gefahr für Österreich befürchtete. Schon Charles Sealsfield (Karl Postl) hatte 1828 erklärt, daß Deutschland verurteilt sei, „seine Bewohner langsam in Sklaverei und russische Knechtschaft“ versinken zu sehen. Dies werde geschehen, „wenn einst der moskowitische Koloß Österreich und die Türkei unterworfen, Böhmen, Mähren, die Überreste Polens und die Moldau erobert hat.“ Das Bild bei Erzherzog Johann ist dieser Version sehr ähnlich. Er spricht von der „unersättlichen Gier Russlands nach der Leitung der Welthändel“, verborgen unter süssen Worten „und während es immer das Wohl, die Beglückung der Menschheit, die Freiheit eines jeden ausspricht, alles zu einer Periode von Unruhen, von Kriegen, von Druck und Unglück vorbereitet und selbst den größten Despotismus in sei­nem System ausübt ..Erzherzog Johann spricht wiederholt von der Gefahr, daß „Russland Polen besetzet und über die Karpathen nach Ungarn eindringet“ und bis jenseits von Leitha und March, wenn nicht noch weiter ausgreifen wird 7Sa). Zwei Fragen erheben sich noch zum Abschluß: Welche konkreten Vor­stellungen hatte der Erzherzog für die Gestaltung der Monarchie und wie­weit kann von einer Berechtigung seiner und seiner Zeitgenossen Kritik an Österreich gesprochen werden? Die erste der beiden Fragen ist schwer zu beantworten, denn die von Erzherzog Johann verfaßten Denkschriften sind vernichtet. Seine grund­sätzliche Einstellung ist jedoch für uns faßbar: er wollte den Einfluß­bereich der Staatsallmacht so weit als überhaupt nur möglich beschränken. Er lehnte das Metternichsche System, daß alles vom Staate ausgehen müsse, rundweg ab. Er wollte eine möglichst große, vom Staate nicht beeinflußte Privatsphäre. Nicht der Staat habe überall einzugreifen und zu helfen, sondern jeder Berufsstand, jede Gemeinschaft habe aus eigener Initiative, durch eigene Kraft und durch gegenseitige Nachbarhilfe zu wirken und die Not zu meistern. Denn wie der Staat von sich aus nicht überall eingreifen dürfe, so habe andererseits aber auch die kleine Ge­meinschaft nicht stets den Staat um Hilfe anzurufen und anzuflehen. Was sich Erzherzog Johann vorstellte, hat er, im Kleinen, in der k. k. Land­wirtschaftsgesellschaft vorgelebt: wirken nicht durch staatliche Verord­nungen, sondern durch vorgelebtes Beispiel, durch eine freie, örtliche, nicht gelenkte Entwicklung aus eigenen Impulsen. Der Metternichsche Staat war ich kann als Christ vergeben, aber vergessen die alte Unbill, die rauchenden Dörfer, den Hohn und die Schmach im Kriege, den Tod meines Anderls. Und so wie ich denken immer mehr.“ Am 16. November des gleichen Jahres ver­merkt er: „... weil es mir gar nicht beyfallen könnte, um eine zu werben, am allerwenigsten in Bayern, wenn auch dort alle Eigenschaften vermenget werden. Es liegen alte Erinnerungen zu tief in meinem Herzen ...“ 73a) Vgl. dazu B. Sutter: Die Reise Erzherzog Johanns 1837 nach Ruß­land, Konstantinopel und Athen. (Katalog der Ausstellung): Thomas Ender <1793—1875). Wien 1964. S. 35—41.

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