Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)
SUTTER, Berthold: Erzherzog Johanns Kritik an Österreich
208 Berthold Sutter von oben her auf gebaut, Erzherzog Johann wollte den Staat von unten her nach oben hin bauen. Die Errichtung der Landwehr im Jahre 1809 kommt aus dieser grundsätzlichen Einstellung. Er wollte die Erziehung des Untertanen zum freien, verantwortungsbewußten und verantwortungsfreudigen Bürger, also die Umwandlung des gehorsamen Untertanen zum willigen Mitgestalter und Mitarbeiter an den öffentlichen Belangen. Der freie Bürger solle von sich aus tätigen Anteil nehmen an den Nöten des eigenen Vaterlandes. Aus dieser Haltung heraus fordert der Erzherzog die steirischen Kreishauptleute, die der Kaiser 1817 zu sich befohlen hatte, zuvor auf, wahr und freimütig zu reden, denn es gelte das Land, dem geholfen werden müsse. Wenn sie nicht sprächen, so könnten sie bei Stockungen im Lande zur Rechenschaft gezogen werden. Das Schwergewicht des Staates will der Erzherzog in die einzelnen Länder verlegen, die in seinen Augen mehr sein müßten als nur Provinzen eines Einheitsstaates. Er greift wiederholt die Wiener Zentralstellen an, die alle Länder aus „Eigendünkel und Unwissenheit“ über einen Leisten schlagen wollen74). Er ist überzeugter Föderalist, denn im Kleinen ersterbe weniger das warme Gefühl für den Menschen, für den einzelnen Bürger. Weiters schwebt ihm die Einführung von Landesverfassungen vor, abgestimmt auf die jeweiligen Bedürfnisse der einzelnen Provinzen75 * *), wobei er entscheidend von der Tiroler Landesverfassung beeinflußt ist und sich von dort die gleichberechtigte Vertretung der vier Stände im Landtage und die selbständige Besorgung der Wehrverfassung entlehnt78). Die Kanzler der einzelnen Provinzen sollten in Wien ihre Landesinteressen vertreten und zugleich die Einheit des Staates wahren. Denn so sehr Johann auch Föderalist ist, so sehr ist er auf die Stärke und Einheit des Kaiserstaates bedacht. Dieser bestehe aus Provinzen, ohne eigentliche Rechte, und doch seien diese Provinzen sich untereinander fremd, als gehörten sie gar nicht zum gleichen Reiche. Der Kaiser allein genüge nicht als Inhalt eines vaterländischen Gesamtbewußtseins, denn dieser stehe auf schwindeligem Weg. Das Herz eines Volkes müsse aber warm werden 74) Tagebucheintragung vom 1. August 1839. -—- Ebenso schon am 27. Dezember 1817: „ . .. um die nothwendigen Eigenheiten der Provinzen zu ver- theidigen. (Das hätte man längst bedenken sollen, das unselige alles auf einen Leisten schlagen wollen.)“ 75) Vgl. dazu G. Pferschy: Erzherzog Johanns Gedanken über Wesen und Triebkräfte der Geschichte. Blätter f. Heimatkunde 33, Graz 1959, S. 2—9. — Seine allgemeinen Ideen über die Staatsführung hat der Erzherzog am klarsten gegenüber König Otto I. von Griechenland während seines Aufenthaltes in Griechenland im November 1837 ausgesprochen. Vgl. dazu A. Schlossar: Briefwechsel zwischen Erzherzog Johann ... und Anton Graf von Prokesch-Osten. Nebst Auszügen aus den Tagebuchblättern über seinen Aufenthalt in Athen ... Stuttgart 1898. 7a) Vgl. dazu O. v. Gschließer: Erzherzog Johann und Tirol seit der Wiedervereinigung des Landes mit Österreich. Schlern-Schriften 201, Innsbruck 1959, S. 88 f.