Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 15. (1962)

MECHTLER, Paul: Streiflichter auf das Nationalitätenproblem bei den österreichischen Eisenbahnen

Streiflichter auf das Nationalitätenproblem b. d. österr. Eisenbahnen 427 desbehörden beschränkt werden. Der erste Präsident der Generaldirektion, Alois Frh. v. Czedik, wies auch in der Budgetdebatte des Abgeordneten­hauses auf die Verschiedenheit des Eisenbahndienstes gegenüber dem Postdienst hin, in dem sich die Grenzen der Direktionen mit den Landes­grenzen deckten. Für das Nationalitätenproblem war ferner der Wirkungs­kreis dieser Direktionen in bezug auf das Personalwesen von besonderer Wichtigkeit. In den ersten Jahren waren diese Dienststellen nur für die nichtbeamteten Bediensteten zuständig. Da sich das Netz der Staatsbahnen von Jahr zu Jahr vergrößerte und da auch dauernd Klagen über eine schlep­pende Erledigung von Geschäftsfällen der überlasteten Generaldirektion einliefen, wurde der Wirkungskreis der Direktionen im Jahre 1891 er­weitert, sodaß ihnen auch die personellen Angelegenheiten der unteren und mittleren Beamten zufielen. Auf Wunsch des Reichskriegsministeriums erließ die Generaldirektion an alle Direktionen die Weisung, daß vor Auf­nahme eines jeden Bediensteten erst ein Zeugnis des Landeschefs über die staatsbürgerliche Haltung des Bewerbers vorgelegt werde6). Wünsche des Polenklubes nach einer weiteren Dezentralisierung — unter Auflassung der Direktion in Krakau — und der Antrag des Jungtschechenführers Kaizl auf die Bildung einer einzigen böhmischen Direktion wurden nicht einmal dilatorisch behandelt. Die Loslösung der Eisenbahnangelegenheiten vom Handelsministerium durch die Errichtung eines eigenen Eisenbahnministeriums im Jahre 1896 hatte zunächst keine nationalpolitische Bedeutung, wirkte sich aber später aus, als das Handelsministerium im Kabinett Beck tschechischen Politikern (Fiedler, Fort) zufiel; diese wurden auch von gemäßigten Deutschen be­schuldigt, eine systematische Tschechisierungspolitik innerhalb des Res­sorts — besonders beim Postdienst — betrieben zu haben7). Der Wir­kungskreis der Eisenbahndirektionen, seit 1896 als Staatsbahndirektionen bezeichnet, erfuhr durch zwei Novellen zum Organisationsstatut in den Jahren 1909 und 1911 wesentliche Erweiterungen. Eine verwaltungs­geschichtliche, wohl nur aus dem Nationalitätenproblem erklärbare Eigen­tümlichkeit wies Czernowitz auf: die dortige Betriebsleitung wurde de facto im Laufe der Jahre eine Staatsbahndirektion, und der Einfluß der de jure übergeordneten Direktion in Stanislau beschränkte sich schließlich nur mehr auf wenige Angelegenheiten. Die Abgrenzung der Direktionen erfuhr verschiedene Änderungen, wobei für unser Thema nur folgende erwähnenswert sind: Die Werkstätte Gmünd, die zunächst Prag unterstellt war und dadurch das Einströmen tschechischer Arbeiter nach Niederösterreich erleichterte, fiel erst 1896 an 6) HM Präs. ZI. 3522/1891. Alle airchivalisehen Belege in dieser Arbeit stammen aus dem Verkehrsarchiv; abgekürzt HM (Handelsministerium) oder EM (Eisenbahnministerium). 7) Alois Czedik, Zur Geschichte der k. k. österr. Ministerien, Teschen-Wien- Leipzig 1917—1920, 3. Bd., S. 175.

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