Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 15. (1962)

MECHTLER, Paul: Streiflichter auf das Nationalitätenproblem bei den österreichischen Eisenbahnen

428 Paul Meditier die Wiener Direktion. Der Bereich der Linzer Direktion erstreckte sich immer bis Budweis, wodurch wieder das Mißfallen der Tschechen erregt wurde. Erst nach Eröffnung der vom Staate gebauten Val Suganabahn (1896) und der elektrischen Lokalbahn Trient—Male (1909) mußte sich die Staatsbahndirektion Innsbruck mit den Wünschen der Italiener be­fassen. Die Staatsbahnlinien in Krain gehörten die längste Zeit zur Villa­cher Direktion; erst nach Eröffnung der zweiten Eisenbahnverbindung nach Triest (1906) wurden diese Strecken von der Triester Direktion betreut. Das Problem der Neuabgrenzung bzw. Neuerrichtung von Staatsbahn­direktionen wurde entscheidend durch die zweite Verstaatlichungswelle im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts beeinflußt. Die Verstaatlichung der meist in den Sudetenländern liegenden großen Privatbahnen hatte zwar eine große Bedeutung in den Auseinandersetzungen zwischen den Deut­schen und den Tschechen, soll aber in den allgemeinen Auswirkungen nicht überschätzt werden. (Es erfolgte — wie an anderer Stelle noch näher ausgeführt wird — im wesentlichen nachher nur ein Personalausgleich zwischen den alten und neuen Direktionen.) Die erste Verstaatlichungs­vorlage betraf die Kaiser Ferdinands-Nordbahn, deren Netz sich auf Niederösterreich, Mähren, Schlesien und Galizien erstreckte. Die deutschen Abgeordneten von Mähren und Schlesien hegten bei Verstaatlichung von Eisenbahnen zu allen Zeiten immer große Befürchtungen im Hinblick auf nationale Verschiebungen, besonders in den Sprachinseln, während die Vertreter der Alpenländer diese Gefahren zumindestens als übertrieben ansahen. Bereits in der ersten Lesung im Eisenbahnausschuß des Abgeordnetenhauses am 17. 7. 1906 begründete ein prominenter Ver­treter der Deutschen in Mähren, Frh. Heinrich d’Elvert, die Ab­lehnung der Verstaatlichungsvorlage der Nordbahn au$, nationalen Grün­den. Der aus Graz stammende, deutschnationale Eisenbahnminister, Dr. Ju­lius Derschatta, erklärte hierzu, daß die Regierung eine aus bloß wirt­schaftlichen Erwägungen begonnene Aktion gewiß nicht zum Ausgangs­punkt nationaler Verschiebungen machen werde. Er wurde vom Kärntner Abgeordneten Dr. Otto Steinwender sekundiert, welcher wieder im Gegen­satz zum Abgeordneten d’Elvert hoffte, daß erst die Verstaatlichung Ga­rantien für eine unparteiische und das deutsche Element berücksichtigende Verwaltung geben würde8). Schließlich wurde die Regierungsvorlage durch einen Zusatzantrag des galizischen Abgeordneten Ladislaus Strusz- kiewicz mit folgender Formulierung ergänzt: „Bis zur anderwärtigen gesetzlichen Regelung hat die Staatsverwaltung bei Besetzung von Dienst­posten in einem von der Nordbahn berührten gemischtsprachigen Ort auf die Angehörigen der einzelnen Nationalitäten nach Maßgabe der daselbst berührten sprachlichen Verhältnisse des Verkehrs, sowie unter Berück­8) Alois Czedik, Der Weg von und zu den Österreichischen Staatsbahnen, Teschen-Wien-Leipzig 1913, 1. Bd., S. 448 ff.

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