Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 15. (1962)

MECHTLER, Paul: Streiflichter auf das Nationalitätenproblem bei den österreichischen Eisenbahnen

Streiflichter auf das Nationalitätenproblem b. d. österr. Eisenbahnen 429 sichtigung und tunlicher Wahrung der obwaltenden nationalen Verhält­nisse Bedacht zu nehmen.“ Diese Ergänzung, deren praktische Auslegung später Anlaß zu vielen Differenzen bot, hatte die Billigung aller Parteien gefunden, und ist wortwörtlich in das Verstaatlichungsgesetz der Nordbahn vom 31. 10. 1906 (RGBl. 212) aufgenommen worden. Dieselbe Bestimmung wiesen bereits später die Regierungsvorlagen betreffend die Verstaat­lichung der Böhmischen Nordbahn, der Staatseisenbahngesellschaft und der österreichischen Nordwestbahn auf. Zu einer „anderwärtigen gesetz­lichen Regelung“ ist es jedoch niemals gekommen! Auch in den späteren Jahren bemühte sich Eisenbahnminister Derschatta, die Besorgnisse der Deutschen in den Sudetenländern zu zerstreuen („Wenn Ihnen die Ver­staatlichung erwünscht ist, dann lassen Sie sich dies nicht durch nationale Besorgnisse vergällen“) 9). Bereits einige Jahre vor Beginn der Wiederaufnahme der Verstaat­lichung war von deutscher Seite aus die Errichtung einer dritten, im deutschen Sprachgebiet Böhmens liegenden Staatsbahndirektion gefordert worden. Über den Standort konnte bei internen Beratungen anfänglich keine Einigung erzielt werden. Eger, Komotau, Aussig, Dux, Bodenbach, Saaz, Böhmisch-Leipa und Reichenberg kamen in Frage; schließlich spra­chen sachliche Gründe für die Wahl von Teplitz. Auch aus Gründen des Betriebsdienstes wäre die Schaffung einer dritten Direktion in Böhmen durchaus vertretbar gewesen, denn Prag und Pilsen gehörten zu den größ­ten Direktionen der Staatsbahnen. Dagegen wäre eine nationale Abgren­zung der Direktionen mit großen Schwierigkeiten verbunden gewesen: fast alle Hauptstrecken überschritten nämlich die Sprachgrenzen einige Male. Studien für die Errichtung einer neuen Direktion in Böhmen wurden be­reits unter dem Eisenbahnminister Wittek (1897—1905) durchaus ernst­haft betrieben: ein entsprechendes Elaborat kam sogar bis in den Minister­rat, und der a. u. Vortrag wurde vom Herrscher „in Erwartung anderer Vorschläge vorläufig zur Kenntnis genommen“ 10 * *). Während bei den inter­nen Beratungen durchaus die nationalen Fragen im Vordergrund gestan­den waren, begründete man den Antrag aus Erfordernissen des prak­tischen Betriebs, und nur in einem Nebensatz wurde überhaupt das Natio­nalitätenproblem berührt! Ähnliche Wünsche wie in Böhmen wurden auch in Schlesien geäußert; hier stand zwar der Standort fest (Troppau), aber das Staatsbahnnetz im deutschen Gebiet war verhältnismäßig klein, sodaß eine Loslösung dieser Strecken von der Staatsbahndirektion Olmütz gar nicht ernsthaft zur Debatte stand u). Tatsächlich erfolgte nach dem Abschluß der Verstaatlichungsaktion keine Neubildung von Direktionen, und so blieben bis zum Ende der 9) Zeitung des Vereins Deutscher Eisenbahnverwaltungen, Berlin 1908, S. 1206. i°) EM, Geheimes Protokoll, ZI. 4)1905. n) EM, ZI. 8651/1911.

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