Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 15. (1962)

SILAGI, Denis: Aktenstücke zur Geschichte des Ignaz von Martinovics

248 Denis Silagi Benda°) in Martinovics eher den geschichtlich gleichsam zufälligen Kataly­sator für eine von ihm unabhängig strömende bedeutende „fortschrittliche“ Bewegung erblickt (1958); die Mehrheit der Forscher indessen hält den Ex-Professor für nicht so gewichtig, daß er der Politik des Wiener Hofes eine neue Richtung hätte geben können, doch auch für weit mehr als einen bloßen zufälligen auslösenden Faktor der Entwicklung, nämlich für den alleinigen Schöpfer der folgenschweren „Verschwörung der ungarischen Jakobiner“, die ohne Martinovics niemals zustande gekommen wäre. * *• * Martinovics begann 1791, den Hof systematisch mit Nachrichten zu beliefern; damals wurde er von Franz Gotthardi — früher josephinischer Polizeidirektor zu Pest, unter Leopold II. Leiter des persönlichen geheimen Dienstes des Kaisers — für vertrauliche Dienstleistungen gewonnen10). Zur Geschichte des Martinovics im Jahre 1792 heißt es im Schrifttum — infolge der Spärlichkeit des Quellenmateriales im ganzen nach der eigenen, falschen, Darstellung des Ex-Professors — allgemein, nach Leopolds Tod wären Gotthardi und dessen Kreis vom Hof entfernt und, soweit über­haupt noch verwendet, empfindlich degradiert worden; Gotthardi und Martinovics hätten danach einen monatelangen Kampf um die Gunst Franz’ II. geführt, aber nur Enttäuschungen geerntet. Nun hörte der persönliche geheime Dienst, den sich Leopold II. einge­richtet hatte, mit seinem Tod zu bestehen auf, und die diesem Dienst an­vertrauten politischen und publizistischen Aufgaben waren mit Leopolds Ableben gegenstandslos geworden. Aber wenn auch die Weiterführung der geheimen Planungen außerhalb des Horizontes des Thronerben lag, so brachte er Gotthardi doch reichlich Wohlwollen entgegen. Der einstige Pester Polizeidirektor wurde nach nur wenigen Tagen der Unsicherheit schon im März 1792 mit der Fortsetzung seiner früheren Dienstleistungen auf dem Gebiet der Nachrichtenbeschaffung aus Ungarn beauftragt und angewiesen, seine Informationen in Hinkunft dem Kabinettminister Franz Grafen Colloredo, also dem ersten Mitarbeiter des Kaisers, vorzulegen. In den folgenden Monaten unterbreitete Gotthardi seinem neuen Vorgesetzten laufend auch Rapporte Martinovics’ (und zwar immer in Kopien, die Gott­hardi selbst anfertigte, teils, weil seine Schrift leserlicher war, teils auch, um zu verhindern, daß die überaus charakteristische Hand des Professors in der Kanzlei Colloredos oder im Kabinett von Unbefugten gesehen wer­den könne). Für Martinovics war mit Kaiser Leopolds Tod eine Welt von Zukunftsträumen untergegangen, aber seine tatsächliche Stellung war nicht schlechter geworden, ja er erhielt zusätzliche bedeutsame Gunstbeweise °) Die ungarischen Jakobiner, a. a. O., bes. 471. i°) Zur Frage des leopoldinischen geheimen Dienstes vgl. Denis Silagi, Ungarn und der geheime Mitarbeiterkreis Kaiser Leopolds II. München 1961, 37 ff.

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