Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 14. (1961) - Festschrift für Gebhard Rath zum 60. Geburtstag

WOHLGEMUTH-KOTASEK, Edith: Erzherzog Johann in seinen Briefen an Marie Louise

542 Edith Wohlgemuth-Kotasek zu seyn. Allein dieß leztere scheinet nicht mehr ä l’ordre du jour zu seyn und so entstehet nach und nach der Mangel an brauchbaren Köpfen, welcher sehr empfindlich zu werden anfängt; leichter ist es freilich in Tag (!) hinein zu leben, sich um nichts zu bemühen und von der höheren Gnade alles zu erwarten — als sich zu bewerben, zu arbeiten und sich zu plagen“ 48). Nach einem Wiedersehen mit Marie Louise, das ihnen aber bezeich­nenderweise „keine Gelegenheit geboten“ hatte, politische Probleme zu er­örtern, schrieb Johann: „Sie müssen mich unter zwey Gestalten betrachten — als dem Staate dienend und als meinem häuslichen Leben angehörend — mein Trübsinn rühret von ersterem vorzüglich her, denn ich liebe zu kehr meinen Kaiser, mein Vaterland, um nicht über die dunkle Zukunft bey den vor mir liegenden Materialien sehr düster zu sehen. — Wenn ich auch nichts spreche und aus Ehrlichkeit und Pflicht zurückgezogen lebe, so ent­gehet mir doch nichts und folge mit nüchternem Auge allem und sehe gewaltige Gewitter sich aufthürmen, wenn auch, was mich betrifft, mir dann (!) keine Sorge machet, denn ein treuer Diener, ein Mensch von Ehre findet Hülfe in seinem Muthe und in seinem Kopfe, so sehe ich gar so viele Liebe und Theure, für die es mir bange wird“ 49). Zu Ende 1832 flehte er: „möge das nächste Jahr ungetrübt vorüber gehen, nichts unsere Ruhe stören — aber ich gestehe es aufrichtig — es verwickelt sich alles in der Welt täglich mehr — alle Partheyen, alle Gemüther auch der verschiedensten Verhältnißen (!), Interessen und An­sichten sind aufgeregt — und nichts, was Beruhigung hoffen läßt — zu­gleich bey manchen eine gewaltige Kriegslust, unbekümmert, blind und höchst leichtsinnig die Folgen berechnend“ 50). Johann war sich bewußt, daß ein Krieg, wie die geistige Situation einmal war, nicht um politische Ziele allein mehr geführt werden würde. „Es kann seyn, daß Ereigniße den Krieg herbeyführen, aber ihn zu wünschen oder zu befördern, gehöret Raserey, denn ein Krieg entzündet einen allgemeinen Brand, welchen nur Gott allein durch Ereigniße meistern (kann), die niemand imstande ist, vorauszusehen. Es ist nicht mehr ein Krieg von Staat gegen Staat — son­dern von Meinungen, wo eine siegen, eine untergehen muß. — Ich frage, für welche hat man die Gewißheit des Segens, das weiß niemand — es muß ein Krieg auf Leben und Tod, auf Erhaltung oder Untergang werden“ 51). Was Johann hier prophetisch voraussah, sollte in seiner ganzen er­schütternden Wahrheit einer späteren Zeit Vorbehalten bleiben — aber die mehr oder weniger versteckten Spannungen hielten an und die Last, sich ihrer bewußt zu sein, wurde zur dauernden Bedrückung des weit­schauenden Mannes: „Ich bin sehr traurig und ernst gestimmt, denn wir 48) Nr. 21 vom 4. 4. 1817. 49) Nr. 35 vom 25. 12. 1828. so) Nr. 45 vom 3. 12. 1832. 5i) Nr. 48 vom 15. 10. 1833, was kursiv gedruckt ist, abgedr. im obzitierten Katalog, S. 76.

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