Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 14. (1961) - Festschrift für Gebhard Rath zum 60. Geburtstag

WOHLGEMUTH-KOTASEK, Edith: Erzherzog Johann in seinen Briefen an Marie Louise

Erzherzog Johann in seinen Briefen an Marie Louise 543 gehen sonderbaren Zeiten entgegen. Gott gebe, daß niemand sich Täu­schungen ergebe, daß niemand Rosenfarb sehe. Mein Muth bleibet auf­recht und mein Gebeth zu Gott ist — wenn böse Zeiten kommen sollen, diese mir erleben zu lassen, damit ich gegen das Üble kämpfen und nach überstandenen Sachen den Heranwachsenden eine bessere Zeit aufgehen sehe. Es gehöret in itziger Zeit eine große Thätigkeit, die Zeit eilet ge­waltig. Noch ist das Volk gut, obwohl es allenthalten laut wird, allein es wird gewaltig bearbeitet. Was geschiet dagegen? Tyrol habe ich gut ge­funden ...“ 52). Es ist nicht verwunderlich, daß Johann die Stimmung der Tiroler zum Gradmesser nimmt — oder nehmen möchte. Das Tiroler Volk hatte sich in den Jahren französischer Knechtschaft als einsatzbereit gezeigt und war dem von glühenden Patriotismus erfüllten Erzherzog gerade durch das Leid, das seine vom Kaiser so sehr mißverstandenen Konspirationen über ihn gebracht hatte, ans Herz gewachsen53). 28 Jahre54) hatte er den Boden des geliebten Landes nicht betreten, weil er es nicht gedurft hatte, aber stark wie am ersten Tag war der Glaube in ihm an die unverdorbene und unverbildete Kraft des alpenländischen Bauerntums, die sich seiner Meinung nach auch bei künftigen Konflikten welcher Art immer bewähren würde55). Johann war die schlichte Denkungsart des Landmannes ein Trost, in dessen Lebensbereich er sich so oft er konnte zurückzog. Es waren, schrieb er, „die reine Alpenluft und der Umgang mit jenen biederen Be­wohnern mein Gegengewicht gegen die Eindrücke der itzigen morschen Welt“ 5«). Wie jedermann bekannt ist, hat Johann die Liebe für Tirol, weil er es nicht mehr betreten durfte, mit gleicher Heftigkeit und gleicher Hin­gabe auf die Steiermark übertragen57), der er ein fürsorglicher Landes­vater wurde, indem er ihre geistigen und wirtschaftlichen Kraftquellen erschloß und die Fülle seiner vielseitigen Begabungen zum Einsatz brachte, um eine Saat zur Entfaltung zu bringen, an deren Früchten sich noch die Gegenwart erfreut. So ist mancher Brief und manche Briefstelle ein hohes Lied auf seine Berge und deren Bewohner: „Ich sitze in meinen Bergen, bald dort, bald da und gewinne sie lieber jede Stunde. Sie geben mir gute Luft, Wasser, einfache Nahrung, Freyheit und unverdorbene, kindliche, herz­lich gute Menschen. Ich kenne nun alle diese Leute und diese kennen mich. So ist die Scheidewand gehoben und ich lebe wie die Patriachen unter ihnen, 52) Graz, Landesarchiv a. a. 0., Graz, 2. 11. 1847. 53) Vgl. dazu Hans Kramer, Oswald von Gschließer und Georg Mutschlech- ner: Erzherzog Johann und Tirol, Innsbruck 1959 (Schlern-Schriften 201), be­sonders auch das Literaturverzeichnis in Kramers Beitrag, ibid. S. 67—71. 54) Nr. 48 vom 15. 10. 1833. 53) Graz, Landesarchiv a. a. O., Graz, 2. 11. 1847. 56) Nr. 19 vom 20. 9. 1816. 57) Vgl. Viktor Geramb: Ein Leben für die andern. Erzherzog Johann und die Steiermark, Wien 1959. Schrifttumsverzeichnis S. 190—197.

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