Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 14. (1961) - Festschrift für Gebhard Rath zum 60. Geburtstag
WOHLGEMUTH-KOTASEK, Edith: Erzherzog Johann in seinen Briefen an Marie Louise
Erzherzog Johann in seinen Briefen an Marie Louise 541 Ehrgeitz, ohne Selbstsucht an uns haben — aber es ist doch ganz ein anderes Verhältniß“ 43). Der neue Herr, Johanns Neffe, Ferdinand I., dem nach einem unselig starren Gesetz die Geschicke der Monarchie in die Hand gelegt worden waren, obwohl ihm für diese Aufgabe alle körperlichen und geistigen Voraussetzungen fehlten, war seiner Familie, soweit sie sich zu so viel Anteilnahme auf raffte, ein Gegenstand der Sorge. Johanns Loyalität erwies sich auch in diesem Zusammenhang als untadelig. Als er Ferdinand44) einmal auf einer Reise begleitete, schrieb er an Marie Louise: „Ich überzeuge mich täglich mehr, wie gut es ist, wenn einer vom Hause den Kaiser auf seinen Reisen begleitet. Wenn es (!) auch für das diese Begleitung treffende Individuum die Lebensweise [nicht] angenehm seyn dürfte, so sollten doch alle des Hauses die Nothwendigkeit einsehen und keiner sich dem entziehen. Der Kaiser ist gar so gut, die Kaiserin45) ebenfalls und sie verdienen, nicht allein deßwegen alle Unterstützung, sondern es ist eine heilige Pflicht, welche alle eigenen Rücksichten sollte vergessen machen“ 46). Johanns große Menschlichkeit befähigte ihn, auch dem harten Los der Gattin Ferdinands Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: „Wir sind unserer Kaiserin Marianne vielen Dank schuldig. Sie hat wieder bewiesen, was Herz und Unbefangenheit vermag. Diese Frau wird viel zu wenig ge- würdiget“ 47). Herz und Unbefangenheit bestimmten auch Johanns Einstellung zum politischen Geschehen seiner Zeit. Da es ihm nur um echte Wohlfahrt der Menschen ging, galt ihm die Aufrechterhaltung von Jfrieden, Ordnung und Sicherheit alles, aber er war hellhörig und feinnervig genug, um die Unruhe zu spüren, die in der Luft lag, da und dort zu Eruptionen führte und das europäische politische Klima anhaltend bestimmte. Welche Umwälzungen wird sie heraufbeschwören und wieviel Recht wird dabei verletzt werden? Das waren Sorgen, die den reifen Mann, der sich dem einfachen Volk verbunden fühlte und dessen nationale und soziale Bedürfnisse zu kennen glaubte, in steigendem Maße bedrückten. Er konnte seiner ganzen Herkunft und Erziehung nach nicht anders als konservativ sein, aber er steckte den Kopf nicht in den Sand und durchschaute sehr wohl die gefährliche Leichtfertigkeit, mit der gerade maßgebende Persönlichkeiten den Zeichen der Zeit gegenüberstanden. Johanns Vorbeugungsmittel gegen drohende Gefahren hieß Arbeit — sich vertiefen: „Es ist schmerzlich zu sehen, wie wenig Trieb in unseren Zeiten ist, sich Kenntniße zu erwerben und wie wenig man denket, daß es Pflicht ist, nach solchen zu streben, um eine zweyte, weit höhere zu erfüllen, nemlich seinem Vaterlande nützlich «) Nr. 49 vom 13. 5. 1835. 44) Geb. 19. 4. 1793, Thronentsagung 2. 12. 1848, gest. 29. 6. 1875. 45) Maria Anna, Tochter des Königs Viktor Emanuel von Sardinien, geb. 19. 9. 1803, vermählt mit Ferdinand 1831, gest. 4. 5. 1884. 46) Graz, Landesarchiv a. a. O., Laybach, 3. 9. 1844. 47) Ibid. Vordernberg, 12. 6. 1844.