Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 14. (1961) - Festschrift für Gebhard Rath zum 60. Geburtstag

REGELE, Oskar: Die Entwicklung der habsburgisch(-lothringischen) Militärdiplomatie

314 Oskar Regele Kundschaftsdienst ergänzend hinzutreten mußte. In Österreich-Ungarn war es den Militárattachés untersagt, mit Kundschaftern zu arbeiten, trotzdem ergeben sich ganz ungewollt und unvermeidbar Querverbindungen zwischen dem Nachrichten- und Kundschaftsdienst, wie sie allüberall sooft zur Ab­berufung von Militárattachés führén. Der Kundschafter hat mehrere Ge­sichter : handelt es sich um eine amtlich beauftragte Person, dann darf man nach G i e s 1 (ähnlich auch Holtzendorff) nicht verkennen, „daß eine solche Tätigkeit, aus idealen Motiven, ohne Bereicherung und unter schwe­ren Gefahren ausgeübt, keinen Schatten auf die persönliche Ehrenhaftig­keit wirft.“ Aus denselben Erwägungen verfügte Kaiser Franz Jo­seph I., es müsse für die Familie eines in Not geratenen Kundschafters gesorgt werden, „da es von Wichtigkeit ist, aufopfernde und gefährliche Dienste nicht unbelohnt zu lassen.“ Es gibt freilich auch für mehrere Auf­traggeber arbeitende Kundschafter („Doppelverdiener“), deren man sich nur ungerne und gezwungenermaßen bedient, es gibt endlich die verächt­liche Kategorie der Hochverräter, die das eigene Land um irgend eines Vorteils willen verraten. Für den Gaststaat gilt jeder aufgegriffene Kund­schafter des Sendestaates als „Spion“, der den schwersten Bestrafungen ausgesetzt ist. Nachrichtendienst, Kundschaftswesen und Spionage können von der Öffentlichkeit nicht leicht auseinandergehalten werden. Das klag­lose Zusammenspiel aller Möglichkeiten der Nachrichtenbeschaffung herbei­zuführen oblag in Österreich-Ungarn dem Ministerium des Äußeren und dem Evidenzbureau des Generalstabes, das unter den Obersten von Hranilovic (1914/17) und Maximilian Rouge (1917/18) glänzendste, für Anlage und Führung der Operationen entscheidende Erfolge erzielte. Wenn man nun auf den wiedergegebenen Ausschnitt aus drei Jahrhun­derten der noch nicht geschriebenen österreichischen Diplomatie-Geschichte zurückblickt, muß zugestanden werden, daß das den jeweiligen Zeitum­ständen elastisch angepaßte Auswahlsystem zweckmäßig war. Vorgekom­mene ganz naturgegebene Differenzen innerhalb des Personals hatten ihren Grund weniger in persönlichen Unzulänglichkeiten als im Mangel an hin­reichenden Vorsorgen für einen klaglosen Dienstbetrieb. Die Diplomaten aller Art sind stets bloß die Handlanger und die Vollstrecker der Staats­politik, sie haben Unterlagen zu liefern, zu beraten und Aufträge auszu­führen, es können ihnen daher zwar Verfahrensfehler nicht aber Fehler der Außenpolitik an sich angelastet werden. Nun wäre es mehr als billig zu behaupten, die zuständigen führenden Staatsmänner wären in der Ver­gangenheit in viel zu geringem Ausmaße oder gar nicht militärisch ge­bildet, daher an Fehlaktionen schuldtragend gewesen — doch so einfach liegen die Dinge wieder nicht. Gerade die beiden österreichischen Kory­phäen der diplomatischen Kunst, Kaunitz und Metternich, waren nie Soldaten gewesen und der als Außenminister so unglückliche Mens- d o r f f war ein erprobter General und Theresien ritter. Man soll aber nie nach Ausnahmen urteilen und deshalb besteht nach wie vor die Forde-

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