Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 12. (1959)
MECHTLER, Paul: Erinnerungen des Dr. Karl Freiherrn von Banhans (1861–1942)
Erinnerungen des Dr. Karl Freiherrn von Banhans (1861—1942) 405 auch wußte ich, daß im Lande genügend Lebensmittel vorhanden wären, zumal die Lebensmittelabgaben nach dem Westen aufhören mußten. Endlich nahm ich eine aus der Ukraine gewonnene militärische Lastautokolonne mit einem mir als tüchtig bekannten Kommandanten in Dienst und gedachte damit die reichen Mehlvorräte aus den Militärmagazinen in Nowosielitza nach Czernowitz zu überführen. Das österreichisch-ungarische Korps in der Ukraine und in Bessara- bien war nämlich in vollständiger Auflösung, die Vorräte daher überflüssig geworden. Da angesichts der neuen Situation alle militärischen und zivilen Behörden sich meinem Befehl unterworfen hatten, gelang es mir auch, Zugsgarnituren für den Abtransport der inzwischen in Czernowitz gesammelten Legionen zu beschaffen, die am 2. November nachmittags bereit standen. Die Legionen wollten sich aber, obwohl zum Kampfe gegen die Polen nach Lemberg gerufen, nicht einwaggonieren lassen; erst der persönlichen Energie und dem Einfluß ihres Kommandanten, des Erzherzogs Wilhelm, der, obwohl krank, in der Nacht zweimal auf den Bahnhof eilte, gelang es, ihren Widerstand zu überwinden. Am 3. November früh rollte der Zug mit den Legionären ab. Eine Anzahl von Deserteuren und Meuterern blieb aber in Czernowitz zurück, vereinigte sich mit ukrainischen Soldaten des J.Rg. 41 und Sch.Rg. 22 und bildete in den nächsten Tagen die Ursache vieler Zwischenfälle. Aus den letzten Wiener Blättern, die nach Czernowitz gelangt waren, entnahm ich, daß Ministerpräsident Lammasch die Behörden nur mehr als Treuhänder der Nationalregierungen bezeichnet hatte. Dies und die ganze überaus kritische Situation veran- laßte mich, noch am 2. November abends die in Czernowitz anwesenden rumänischen Reichsratsabgeordneten (Landeshauptmann Baron Hormuzaki, Onciul, Grigorovici) und die Vertreter der ukrainischen Rada zu mir zu bei'ufen und ihnen über die Lage Mitteilungen zu machen. Hormuzaki und Grigorovici traten dafür ein, daß ich mit einem aus allen Nationen des Landes zusammengesetzten Beirate die Regierung bis zum Friedensschlüsse fortführen solle. Die Idee des Beirates fand bei den Ukrainern keinen Anklang; Onciul wieder wollte die Regierung sofort übernehmen; schließlich versicherten mich alle ihres uneingeschränkten Vertrauens und baten mich, die Regierung fortzuführen. Am 3. November beteiligten sich an den Versammlungen und am Umzuge Tausende von Bauern, von welchen viele mit Gewehren bewaffnet waren. Die Ordnung wurde nicht gestört, die Teilnehmer zerstreuten sich in Ruhe. Zwecks Verhinderung eines Handstreiches hatte ich in der Landesregierung Gendarmen konsigniert, aber den Befehl gegeben, von der Waffe unter keinen Umständen Gebrauch zu machen. Am Vormittag erhielt ich die Nachricht, daß die aus der Ukraine zurückflutenden Soldaten die Magazine in Nowosielitza geplündert und große Ausschreitungen begangen hätten. Da nicht genug Waggons für ihren Rücktransport vor-