Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 12. (1959)

MISKOLCZY, Julius: Metternich und die ungarischen Stände

Metternich und die ungarischen Stände 251 wenn Metternich dasjenige, was in Wien Jahrzehnte hindurch gegen die ungarische Sprache vorgebracht worden war, wiederholen wollte. Nur mit einem Unterschied: Er begriff, warum die ungarische Sprache für den staatlichen Gebrauch nicht genügend ausgebildet sei. Schon bei diesem Anlaß ist seinen Worten zu entnehmen, daß er den Kampf für die Mutter­sprache für natürlich, lobenswert und sonach der Unterstützung würdig fand und auf der anderen Seite sah er mit voller Klarheit, wie die Mutter­sprache in Regierung, Verwaltung usw. hinter der lateinischen Sprache zurückgedrängt wurde. Es ist schwer zu entscheiden, inwiefern der theoretische und der prak­tische Standpunkt beim Staatskanzler einander gegenüberstehen. Metter- nicht hatte von seinem Standpunkt recht, wenn er die germanisierende Tendenz Josephs II. verurteilte, und in ihr die Ursache des Kampfes für die ungarische Sprache sah. Aber wie sollte man diese Frage jetzt lösen, nachdem die Regierung Jahrzehnte hindurch sich die Sprachkonzes- sionen hatte abkaufen lassen? Diese Frage konnte Metternich nicht be­antworten. Er sah nur, daß die Kroaten jede Begünstigung der ungari­schen Sprache waren, und schlug sich an ihre Seite. Wenn Fr. Deák in seinem Abgeordnetenbericht 1836 die Klage erhob, die Abgeordneten hätten für die Muttersprache nicht alles erreicht, so war Metternich mit Schuld daran. Gerade um diese Zeit, um 1836 herum, nachdem ihm der ungarische Kanzler die Bedeutung der ungarischen Sprache erklärt hatte, stellte er sich aus wohlgemeinten politischen Gründen an die Seite der Feinde der ungarischen Sprache. Einen Moment sah es so aus, als wenn die alten Regierungsargumente gegen die ungarische Sprache aufleben würden; wir hören auch aus dem Munde des Staatskanzlers, daß die Ungarn kaum mehr als ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, daß die lateinische Sprache durch den ständigen Gebrauch quasi verfassungsmäßig sei und eben darum nicht abgeschafft werden könne, daß die ungarische Sprache nicht genügend ausgebildet wäre usw. Aber das Ganze dauerte nur die wenigen Jahre der Reaktion, die in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre den östlichen Teil der Monarchie bedrohte. Dem ungarischen Nationalismus konnte man nicht Widerstand leisten, aber davon abgesehen, man wollte auch diese Art von Regime nicht fortsetzen. In dem neuen Jahrzehnt kam auch eine neue Orientierung in die Politik des Staatskanzlers. So wie in der allgemeinen Politik das Prinzip des juste milieu herrschen sollte, so sollte auch eine neue Sprach­politik, und wir können dazusetzen, Nationalitätenpolitik, begonnen wer­den. Es besteht kein Zweifel, daß Metternich die Folgen dieser neuen Politik wenigstens geahnt haben dürfte: Die Ersetzung der lateinischen Sprache durch die Muttersprache bedeutete den Anfang einer Demokrati­sierung, die das ganze alte System mit Zusammensturz bedrohte. Vielleicht dachte er doch nicht so weit, weil er nicht selbstmörderisch veranlagt war, aber geahnt hater, was die neue Politik mit sich bringen würde.

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