Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 12. (1959)

MISKOLCZY, Julius: Metternich und die ungarischen Stände

250 Julius Miskolczy wissen, daß die Ratschläge Metternichs in Wien auf taube Ohren gestoßen sind, aber eins konnte die neue Generation von ihm lernen: Ungarn ließ sich nicht wie ein integrierender Bestandteil der Monarchie behandeln. Und damit gelangen wir zu dem letzten Problem. Den Aufbau der öster­reichischen Monarchie betrachtete Metternich anders, als die meisten öster­reichischen Staatsmänner, nämlich keinesfalls als einen einheitlichen Auf­bau. Damit hat er, der in der Fremde geboren wurde, ein Lebensgesetz der Habsburg-Monarchie herausgefunden. Darum verurteilte er sein Leben lang die Politik Josephs II., und darum nahm er von der Einheit der Monarchie Ungarn mit seiner Verfassung heraus. Er handelte im Sinne der Entwicklung seiner Zeit. In der Hauptsache ahnte er das Kommende voraus; er wußte aus langer Erfahrung, daß die Monarchie der Habsburger und Ungarn, wie er sie kannte, ohne einander nicht leben konnten. Und wieder treffen wir auf die Hoffnungslosigkeit des erfahrenen Alten. In einem Brief an den Sectionschef des Staatsrates schrieb er Anfang April 1848, er habe den Grund der Hauptübel vorausgesehen, und nun frage es sich, was werde das Schicksal des herrlichen Mittelreiches sein; er glaube, es werde in seine Teile auseinanderfallen. ❖ 5j« * Gesondert müssen wir die Nationalitätenfrage erörtern, schon aus dem Grunde, weil auf diesem Gebiet die Stellungnahme Metternichs von ent­scheidender Wichtigkeit war. Vor allem sei die leitende Idee des Staatskanzlers festgestellt; er war den verschiedenen Nationalitäten der Monarchie gegenüber nicht befangen. Das war eben der Unterschied zwischen ihm und manchem anderen Staats­mann des Reiches: entweder verurteilten sie im Namen von Altösterreich eine jede nationale Bewegung, oder sie waren, wie der mächtige Innen­minister Kolowrat, den Slawen gegenüber freundlich gesinnt. Damit sei nicht gesagt, daß Metternich die ungarische oder die kroatische nationale Bewegung begünstigt hätte, aber er hielt sie für lebensfähig. Diesem Problem fand sich Metternich auch auf dem Reichstag von 1825—27 gegenüber. Dem Jahre 1827 entsprangen Meinungen des Staats­kanzlers, die in dem damaligen Wien einzig dastanden. Bei einem Über­blick über die Tätigkeit des Reichstags sagte er über die Angelegenheit der ungarischen Staatssprache, sie sei das Resultat eines potenzierten Patriotismus und eines verzeihlichen Stolzes. Damit begann in Wien eine neue Beurteilung des Patriotismus und der Sprachenfrage; so wie Metter­nich, beurteilte bis dahin niemand den ganzen Sprachenstreit. Immerhin bemerkte er, — was der Wahrheit entsprechen mochte — daß Einzelne die Sprachenfrage für ihre oppositionelle Politik ausnützen wollten. Der Ausspruch Metternichs, so wichtig er war, soll uns nicht irre­führen. Am Anfang der 1830er Jahre hat er die ganze Schwierigkeit dieser Frage noch nicht erkannt. Und als dann der Streit um die Nationalsprache auf das öffentlich-rechtliche Gebiet überging, hatte es den Anschein, als

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