Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 11. (1958)

FELLNER, Fritz: Die Verstimmung zwischen Wilhelm II. und Eduard VII. im Sommer 1905

Miszellen 503 Die vorliegende Miszelle will an einem kleinen Beispiel aufzeigen, daß die bisher unveröffentlichten österreichisch-ungarischen Akten, die jetzt durch eine Verfügung des österreichischen Ministerrates bis zum Herbst 1918 vollkommen zugänglich und verwertbar sind, nicht nur für die Ge­schichte der Habsburger-Monarchie, sondern in gleichem Maße auch für die Geschichte anderer Länder, ja ganz besonders auch für die persön­lichen Beziehungen der führenden Staatsmänner zueinander von bedeu­tendem Wert sind. Es soll im folgenden gleichsam in einer kurzen Momentaufnahme auf einen bisher unbekannten Zwischenfall im Früh­sommer 1905 und auf einige Informationen aus den darauffolgenden Monaten hingewiesen werden, durch welche auf Grund der österreich­ungarischen Akten, meiner Meinung nach, neue Aspekte eröffnet werden. Es werden hierin Ereignisse und Entwicklungen als wesentlich für die deutsch-englischen Beziehungen im Jahre 1905 in den Vordergrund ge­schoben, die bisher zwar bekannt, aber wenig beachtet worden sind, weil die übliche Betrachtungsweise 1905 fast ausschließlich als das Jahr der Marokkokrise zu sehen gewohnt war und die großen Publikationen der deutschen und der englischen diplomatischen Akten einseitig nach die­sem Gesichtspunkt gruppiert worden sind. So wird die Verschlechterung der deutsch-englischen Beziehungen im Frühjahr 1905 von deutscher Seite ausschließlich auf Eduards Ein- kreisungspolitik und seine Unterstützung Frankreichs im Marokkostreit zurückgeführt. Tatsächlich hat ja der Besuch Wilhelms in Tanger bei König Eduard VII. heftige, ja geradezu wütende Kritik ausgelöst, so wie umgekehrt Eduards Besuche in Frankreich den Kaiser zu unguten Kommentaren veranlaßten 4). Weniger bekannt, bei dem impul­siven, ausgesprochen gefühlsbestimmten Charakter Wilhelms II. aber vielleicht von entschieden größerer Bedeutung als das große politische Geschehen sind jedoch die ganz privaten, familiären Reibungen, die die persönlichen Beziehungen der beiden Herrscher gerade in der außen­politisch so kritischen Periode des Frühjahrs 1905 trübten und die eng mit der Hochzeit des deutschen Kronprinzen Anfang Juni 1905 verbun­den sind. Einzig Sir Sidney Lee widmet in seiner Biographie Eduards VII. den Verstimmungen breiteren Raum, die sich aus der Auseinander­setzung darüber ergaben, wer den englischen König bei den Feierlich­keiten anläßlich der Hochzeit vertreten sollte5). Anfang März hatte Eduard bereits zugestimmt, daß der Prince of Wales ihn bei der für den 6. Juni angesetzten Hochzeit vertreten solle, zwei Wochen später aber wurde diese Anordnung widerrufen, da Eduard behauptete, die An­wesenheit des Prince of Wales in England sei wegen des Besuches des 4) Lee, Sir Sidney: Eduard VII., Dresden 1928, S. 338, 339; Die große Politik der europäischen Kabinette 1871—1914 (GP), Bd. XX/2, Nr. 6848. 5) Lee, S. 333 ff.

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