Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 8. (1955)

NECK, Rudolf: Zeitgeschichtliche Literatur über Österreich

Rezensionen 465 mitspielen. Vor allem wird der Volkscharakter sehr wesentlich ins Gewicht fallen: denn so sehr die religiöse Komponente als richtung­gebend in die Waagschale fällt, — sei es auf Grund bewußter religiöser Entscheidung, sei es aber auch nur auf Grund von Tradition, Erziehung und Sitte des Volkes, — so kann man doch z. B. den Unterschied zwischen spanischer und englischer Haltung nicht allein auf diese Weise erklären. Es ist ein Faktum, daß in Europa die Romanen zum Großteil katholisch, die Germanen protestantisch sind. In den Vereinigten Staaten von Amerika wird der Katholizismus weitgehend von Iren getragen und besitzt daher Züge, die jenem keltischen Restvolk eigen sind. -— Diese Bemerkungen aber wollen keineswegs die Auffassung des Autors grund­legend widerlegen, sondern im Gegenteil zu noch weiterer und tieferer Forschung mit Einbeziehung aller Komponenten, die mitspielen, auf­fordern. Auch die Tatsache, daß die katholischen Völker ihre Monarchen entthront haben, die protestantischen nicht, wird wohl nicht allein auf diese „katholische“ politische Haltung zurückgehen: es sind in Deutsch­land auf Grund des verlorenen Krieges sowohl protestantische wie katholische Fürstenhäuser gefallen (der Autor allerdings rechnet Deutschland zu den Staaten, die stark von katholischem Einfluß durch­tränkt sind), das Habsburgerreich ist vor allem aus nationalen Gründen auseinandergefallen und das italienische Königtum hat es fertiggebracht, selbst mit der Diktatur ein Kompromiß zu schließen und wurde nur von dieser in ihrem Falle mitgerissen. Sämtliche protestantischen König­reiche aber standen am Ende beider Weltkriege auf der Seite der Sieger­mächte oder waren neutral geblieben, hatten daher nicht Erschütterungen durchzumachen, die den ganzen Staatsaufbau umstürzten. Interessant ist der Versuch, eine Genesis der Ideen des National­sozialismus zu skizzieren. Es kommt dem Autor darauf an, die Richtigkeit der Theorie, die von Barth bis Paul J. Reiter verkündet worden ist, das nachreformatorische Luthertum sei vor allem am Aufstieg des Hitleris­mus schuld, zu ergründen. Er würdigt sehr verständnisvoll die Persön­lichkeit Martin Luthers, die er auf Grund eingehenden Studiums seiner Werke kennt, findet aber bei ihm nur wenige Züge, die im Nationalsozia­lismus ausgeprägt worden sind. Daher kommt K.-L. zu dem Schluß, die Theorie von jener Hauptschuld des Lutheranismus könne nur logisch aufrechterhalten werden, „wenn man die Abstammung des National­sozialismus von der Demokratie und deren Abstammung von einem dia­lektisch abgewandelten Protestantismus sich voll zu eigen gemacht hat... Aus diesen und ähnlichen Gründen ist daher nur der aufrichtige Anti­demokrat moralisch berechtigt, als Ankläger gegen Luther als Vater des Nationalsozialismus aufzutreten“ (S. 361). Die Tatsachen und Zahlen selbst veranlassen auch K.-L., eine Affinität zwischen dem deutschen Protestantismus und dem Nationalsozialismus anzuerkennen. Es wird an Hand von Volkszählungs- und Wahlkarten aus den Jahren 1932 und 1934 nachgewiesen, daß die katholischen Bevölke­rungsteile ungleich mehr Widerstand gegen den Nationalsozialismus be­kundeten als die protestantischen, ein Faktum, das ganz gewiß mit der Mitteilungen, Band 8 30

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