Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 8. (1955)

NECK, Rudolf: Zeitgeschichtliche Literatur über Österreich

466 Literaturberichte stärkeren oder geringeren ideologisch-religiösen, bzw. staatlichen Bindung zu erklären ist. Der Nachweis der historischen Beziehung des Hitlerismus zum Tsche- chentum über die tschechische und die sudetendeutsche nationalsozialisti­sche Partei wird eingehend auf Grund von Daten ausgeführt und damit eine Tatsache in Erinnerung gebracht, die in Deutschland wohl bewußt verwischt worden war. Bezüglich der Abstammung und Beziehung der Hitlerismus zum Hussitentum ist jedoch Vorsicht geboten. Die Gemein­samkeit beschränkt sich ausschließlich auf den nationalen und antikatholi­schen Affekt, diese jedoch wurden im deutschen Bereich aus anderen Quellen genährt, wobei die Romantik mit ihren Vorläufern bis zu den deutschen Humanisten und die vulgarisierte Aufklärung ihren Teil bei­getragen haben. Ergebnis der zahlreichen Einzelstudien, die hier zusammengeschlos­sen sind, ist also: Die Demokratie führt zur Auflösung oder zur Diktatur, insbesondere in katholischen Staaten; Deutschland ist ein gemischt­religiöser Staat, der einerseits diese Entwicklung mitmachte und durch Einfluß seiner katholischen Volksteile die Neigung zur Entartung der Demokratie hat, andererseits infolge der Widerstandslosigkeit und Un­selbständigkeit des protestantischen Bevölkerungsteiles der Diktatur auf­geschlossen ist. Wie man sieht, haben wir hier eine sehr geistvolle und interessante, aber auch nicht wenig kühne Hypothese vor uns, die wohl teilweise zu bejahen ist, an etlichen Punkten aber zum Widerspruch auffordert. Eingeflochten ist eine Gegenüberstellung von Demokratie und Repu­blik, deren Grundlinien im Nachwort weitergeführt und zu einem pro­grammatischen Vorschlag ausgebaut werden, der allerdings nur die Um­rißlinien zeigt. K.-L. denkt sich als Ideal für das im Weltanschauungs­und Parteienkampf aufgeriebene Europa einen „königlichen Freistaat“ auf ständischer Grundlage, verbindet also alte europäische Tradition mit einem in den 30er Jahren viel diskutierten Versuch, den Gefahren des Parteienstaates auszuweichen. Dem gewählten Ständeparlament, das Be­rufsgruppen zusammenschließt, steht der rein auf Grund der Fähigkeit rekrutierte Beamtenapparat gegenüber. Als neutrales Staatsoberhaupt wird möglichst ein Monarch gewünscht. Gefordert wird vor allem die Gewährleistung höchster persönlicher Freiheit, Dezentralisierung der Verwaltung, strenge Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips, dem zufolge eine höhere Behörde nicht die Kompetenzen einer niedrigeren antasten darf; der steigenden Notwendigkeit von Fachleuten in der Regierung soll Rechnung getragen werden. Man hat es hier also mit einem Bekenntnisbuch zu tun, dessen Ideen zugleich als Aufklärung und Warnung anzusehen sind. Die Stärke des Autors liegt ganz gewiß mehr im Sehen der Dinge, in der Kritik, im auf­blitzenden Einfall, im Vergleich, als im Konstruktiven. Obwohl er selbst es ein „gelehrt sein wollendes Buch“ nennt (S. 411) und trotz dem imponie­renden Anmerkungsapparat mit Literaturzitaten verschiedenster Fach­gebiete und Sprachen liegt die Bedeutung dieses Werkes keineswegs sosehr im Erbringen fertiger wissenschaftlicher Forschungsergebnisse, wie in

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