Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 8. (1955)
NECK, Rudolf: Zeitgeschichtliche Literatur über Österreich
Rezensionen 461 Noch 1919 konnte im selben Göttingen der damalige Rektor, Karl Brandi, seine Hörer aus innerer Überzeugung auffordern, das Geschick zu meistern, das die Deutschen ohne eigenes Verschulden getroffen. Nach 1945 war das nicht mehr möglich. Heimpel schildert in seiner Rede mit erschütternder Eindringlichkeit die Entwicklung und Übersteigerung des nationalen Machtprinzips, den Weg, der über Treitschke und Dietrich Schäfer zum „deutschen Gedanken“ Paul Rohrbachs und schließlich, unter Hinzutritt des Rassegedankens, zu etwas Neuem, noch nicht Dagewesenen geführt hat, zur „Begegnung mit dem Unmenschlichen“, in der „gräßliche und schändliche Dämpfe“ die Stelle der Guillotine vertraten. Die Notwendigkeit, daß die deutsche Geschichte mit sich ins Gericht gehe, wird betont. Dabei werden an die künftigen Geschichtsschreiber zwei Hauptforderungen gestellt. Geduld und Gerechtigkeit. Sie allein können die lastende Vergangenheit überwinden. Es ist nicht möglich, im Rahmen einer kurzen Besprechung auch nur den Hauptinhalt dieser so anregenden und vielseitigen Essays anzuzeigen. Sie waren als Vorträge nicht zur Lektüre, sondern zum Hören bestimmt und sollen daher auch als Reden gelesen werden. Ein Anmerkungsteil bringt Hinweise auf die Literatur. Im „Entwurf einer deutschen Geschichte“ vermißt man dort eine Erwähnung des ausgezeichneten, leider viel zu wenig bekannten und diskutierten Werkes von Ludwig Dehio „Gleichgewicht und Hegemonie“, das mindestens in seinen Kapiteln zur Frage der deutschen Hegemonie und zu den beiden Weltkriegen eine Berücksichtigung verdient hätte. Ihm und der in ähnlichem Geiste verfaßten Rektoratsrede Heimpels wäre eine möglichst weite Wirkung im Auslande, vor allem aber in Deutschland selbst zu wünschen. Hans Wagner (Wien). Geistesgeschichte. v. Raumer Kurt, Ewiger Friede, Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance. Verlag Karl Alber, Freiburg-München, XII und 556 S. Das in der Reihe „Orbis academicus, Geschichte der politischen Ideen in Dokumenten und Darstellungen“ erschienene Werk Kurt von Räumers greift das Friedensproblem auf, das im Mittelpunkt des Interesses aller Völker und Zeiten steht. Wie der Untertitel besagt, beschränkt sich der Verfasser in der Darstellung und Dokumentation auf die Zeit zwischen der „mittelalterlichen Respublica Christiana und dem modernen Imperialismus“, also auf die Zeit von 1500—1800. Der Friedensgedanke als politische Idee wird im ersten Teil (S. 1—207), der Darstellung und Kommentar zu den im zweiten Teil (S. 210—297) herausgegebenen Dokumenten zugleich ist, in allen Stadien der Entwicklung des europäischen Staatensystems in seiner ganzen Weite und Tiefe durchleuchtet. Die „Querela pacis“ des Erasmus von Rotterdam (1. Kapitel) eröffnet mit Recht den Chor der Friedensrufer; „sie ist ein unvergleichliches Sammelbecken, in das die Überlieferungen des antiken und mittelalterlichen Friedensgedankens einmünden, und sie wird die pazifistische Musterschrift, die diese Traditionen dem Friedensdenken von vier weiteren Jahrhunderten lebendig erhält und fruchtbar macht“ (S. 8). Neben der Stimme des europäischen Humanismus, der über politische und