Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7. (1954) – Festgabe zur Hundertjahrfeier des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung
WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770–1772 durch Maria Theresia und Joseph II.
Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770—1772 495 Prags auf weitere fünf Wochen an 119). Das hierzu benötigte Getreide und Mehl sollte aus den Militärmagazinen in Stockerau und den näher gelegenen ungarischen Orten genommen oder in Mähren 12°) aufgekauft werden 121). Die Kommission modifizierte daher nochmals ihre Entschlüsse und begann nun folgende großangelegte Hilfsaktion: Vom 3. Juni an verließen täglich — auch an Sonn- und Feiertagen — um 6 Uhr Früh 122) 100 Fuhren, mit je 15 Centnern Mehl beladen, „die Pontonstadeln“ auf der Weißgerberlände in Wien mit dem Auftrag, in 2 Tagen Znäim und in 6 Tagen Deutsch-Brod zu erreichen. Insgesamt sollten 2000 derartige Fuhren abgeschickt werden. Die niederösterreichische Landesregierung, das mährische und das böhmische Gubernium mußten alle verfügbaren Fuhrleute (Braumeister, Landkutscher, Ziegelführer) stellen123). Die österreichischen Fuhrleute hatten das Mehl bis Znaim, die mährischen bis Deutsch-Brod und die böhmischen bis Prag zu führen. Alle Fuhren erhielten Militär119) „Die Commission wird Mir in wenigen Tagen zu Meiner Beruhigung die verläßliche Anzeige hierüber vorlegen, wie auf ein oder die andere Art die Bedürfniß auf die weitere 5 Wochen durch genug sichere Vorkehrungen sich bedecket findet.“ Resolution zum Protokoll, siehe Anm. 118. 12°) In Mähren herrschte bis zum Sommer 1771 — abgesehen von einigen Kreisen wie z. B. Iglau (siebe oben S. 484 f.) — kein drückender Getreidemangel, wenn auch infolge schlechter Ernten und der Not in den Nachbarländern die Preise gestiegen waren. Auf Grund der dringenden Vorstellungen der mährischen Stände (1771 III 16, ebendort Mai, n. 44) wurde daher auch schon im April 1171 das Branntweinbrennverbot für Mähren wieder aufgehoben (1771 VI 20, ebendort). Trotzdem hatten die mährischen Obrigkeiten ihren Untertanen bis zum August 1771 in Form von Geld oder Naturalien insgesamt 1,329.643 fl. 21 kr. vorgestreckt (1771 VIII 5, Bericht des mährischen Guberniums, ebendort, Fasz. 4, Oktober, n. 58). Im Juli 1771 stellte dann auch das mährische Gubernium Berechnungen über den Bedarf der 110.000 in Mähren lebenden Menschen an, der von der kommenden Ernte nicht gedeckt werden könne (errechnete Fehlmenge: 977.649 Metzen Roggen und 127.218 Metzen Gerste). Das Gubernium schlug daher die Einführung scharfer Strafen für die Getreideausfuhr, einen Militärkordon an den Grenzen und behördliche Verwahrung des Saatgutes vor (1771 VII 19, Bericht des mähr. Gub., ebendort, Fasz. 3, n. 45). Die Hofkanzlei wies nun vor allem auf die durch ein neuerliches Branntweinbrennverbot zu erzielende Getreideeinsparung hin und erklärte, daß sich die Untertanen, wenn irgend möglich, nicht auf ärarisc'he Hilfe verlassen, sondern nach Kräften für sich selbst sorgen sollten (1771 IX 7, ebendort). Die mährischen Stände beschafften sich daraufhin selbst aus Ungarn Getreide und hatten bis zum 6. Dezember 1771 bereits 12.043 Metzen nach Brünn transportieren lassen (Bericht des Gub., ebendort, Fasz. 6, Jänner, n. 25). Auch das Branntweinbrennverbot wurde wieder eingeführt (1771 X 4, ebendort, Fasz. 4, Oktober, n. 57). 121) Siehe Anm. 120. 129) Baron Kressei überwachte persönlich den Abtransport und als er am 3. Juni um 3/46 Uhr Früh feststellen mußte, daß noch die Pferde für 18 geladene Wagen fehlten und einige Kutscher erst um 7 Uhr eintrafen, gab es für diese 24 Stunden Arrest. 1771 VI 3, Kommission Fasz. 2, Juni, n. 8. 123) 1771 Y 31, ebendort, Mai, n. 34.