Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7. (1954) – Festgabe zur Hundertjahrfeier des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung
WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770–1772 durch Maria Theresia und Joseph II.
492 Erika Weinzierl-Fischer Untertanen mitzuteilen habe. Wer daher nicht genug Saatgut bekommen könne, müsse etwas anderes, zumindest aber Kartoffel, anbauen 94). Ende April sah sich die Hofkanzlei schließlich sogar gezwungen, die Kaiserin um eine Verdopplung der für den außerordentlichen Straßenbau in Böhmen bewilligten Summe von monatlich 10.000 fl. zu bitten, da aus Böhmen immer mehr Notleidende emigrierten. In Gruppen zu 15—20 überschritten sie die Grenze nach Niederösterreich und es hieß, daß bei Eintritt besseren Wetters noch 2000 zu erwarten seien, die alle nach Ungarn strebten, um dort Arbeit und Brot zu finden. Die Hofkommission trat nun dafür ein, diese Emigranten per Schub in ihre Heimat zurückzubefördern 95 * 97) und sie dort, wenn ihnen ihre Dominien wirklich nicht helfen konnten, beim Straßenbau zu beschäftigen. Daraufhin bewilligte der Kaiser vom 1. Mai bis Ende Juli die Auswertung von monatlich je 20.000 fl. für die außerordentliche Arbeitsbeschaffung "). Glaubten nun die Zentralstellen in Wien, doch wenigstens die ärgste Not behoben zu haben, so wurden sie bald vom Gegenteil überzeugt: Am 3. Mai 1771 berichtete das böhmische Gubernium nach Wien, daß in Prag fast kein Mehl und Getreide vorhanden sei und eine Hungersnot bevorstehe. Das Gubernium bat dringendst um eine Aushilfe von 20.000 Cent- nern 9?) Mehl aus Militärbeständen gegen bare Bezahlung. Die Armee sollte dann ihren Bedarf aus den ungarischen Lieferungen decken98 99). Die von Kressel konzipierte Antwort der Hofkanzlei beinhaltet zunächst, daß man in Wien diese Hiobsbotschaft „mit Befremden und größten Unwillen“ vernommen habe, da diese Situation allein der mangelhaften Vorsorge der Prager Polizeikommission ") zuzuschreiben sei. Der Antrag auf Militäraushilfe wurde abgelehnt, da die ungarischen Lieferungen für ganz Böhmen 94) 1771 IV 15, ebendort, n. 5. 95) Im Winter 1771 ordnete die Kaiserin dagegen an, daß diese Emigranten aus Not zwar nicht „öffentlich vagieren und betteln“ dürften, „hingegen aber, wenn sie ihres Verdienstes wegen in ein so anderes Ort der hiesigen oder hun- garischen Lande sich zu begeben gedenken, ihnen der freye Zug dahin dermalen, solange diese Umstände fürdauern, allerdings gestattet werden solle“. 1771 XII 6, Billett an Hatzfeld, StR.Prot. 1771/IV/4127. 98) 1771 IV 27. Vortrag der Hofkommission, Kommission Fasz. 2, Mai, n. 43. 97) 1 Centner = 100 Pfund. Pribram, a. a. O., S. 124. 98) 1771 V 3, Kommission Fasz. 2, Mai, n. 12. 99) Die Prager Polizeikommission rechtfertigte sich am 31. Mai dahingehend, daß sie seit April 1770 einen aussichtslosen Kampf gegen die Prager Müller und Bäcker geführt habe, die unbedingt einen höheren Getreidepreis erreichen wollten. Als dann im Juli 1770 die Preise erhöht wurden (1 Metzen Weizen von 1 fl. 37 kr. auf 1 fl. 55 kr., Roggen von 1 fl. 12 kr. auf 1 fl. 57 kr. und Gerste von 49 kr. auf 57 kr.) hätten sich die Müller und Bäcker trotzdem nicht hinreichend versorgt, da sie ein Sinken der Preise und damit Einbußen befürchteten. Schon damals wären die Müller und Bäcker so renitent gewesen, daß jedem ein Mann Militärwache beigegeben werden mußte. Große Schwierigkeiten hätten auch die Dominien bereitet. Ebendort, Juni, n. 52.