Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7. (1954) – Festgabe zur Hundertjahrfeier des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung
WEINZIERL-FISCHER, Erika: Die Bekämpfung der Hungersnot in Böhmen 1770–1772 durch Maria Theresia und Joseph II.
488 Erika Weinzierl-Fischer Großes Elend fand Kressei auch bei den Spinnern und Webern im Gebirge. Vor allem in den Herrschaften Hohenelbe und Starkenbach herrschte Mangel an Geld und Lebensmitteln, der durch das Unverständnis der böhmischen Landesbehörden noch unnötigerweise vergrößert worden war68). So hatte z.B. der böhmische Kommerzienrat69) am 3. Februar 1771 angeordnet, daß nur zwanzigfädiges Lothgarn 70) verkauft werden dürfe. Die Hauptabnehmer dieses Produktes waren aber Schlesier und Holländer, die nur neunzehnfädiges Garn kaufen wollten. Dadurch ging das ausländische Absatzgebiet verloren und obwohl es für Lothgarn im Inland fast keine Abnehmer gab, durfte es erst dann an das Ausland verkauft werden, wenn seine Unanbringlichkeit auf dem inländischen Markt durch Attest bezeugt werden konnte 71). Aber Kressei mußte noch andere Mißgriffe der böhmischen Verwaltung berichten. So hatte z. B. die Herrschaft Hohenelbe, um ihren Untertanen zu helfen, diesen ein großes Stück Wald „im Riebenzahler Revier“ zu einem Preis von 12 Kreuzern für einen Klafter Holz überlassen wollen. Nach dem Transport über die Schneekuppe hätte der Klafter Holz in Schlesien um 1 fl. 15 kr. verkauft werden können, wobei den Untertanen pro Klafter ein Reingewinn von 48 kr. verblieben wäre. Die Untertanen suchten daher im Juli 1770 um die Ausfuhrbewilligung an. Ihr Gesuch wurde abgeschlagen, das Holz blieb liegen und die schlesischen Kontrakte mußten gebrochen werden. Daraufhin verbot Schlesien die Getreideeinfuhr nach Böhmen und in der äußerst kinderreichen 72) Gegend herrschte bitterste Not73). Kressei bat nun selbst am 22. März 1771 den Vizekanzler Kollowrat 68) 1771 III 19, Königgrätz. Ebendort, April, n. 2. 69) Über den Gegensatz zwischen dem merkantilistischen Kommerzienkonsess und dem böhmischen Gubernium vgl. Konrad Schünemann, Die Wirtschaftspolitik Josephs II. in der Zeit seiner Mitregentschaft, Mitteilungen des Instituts für österr. Geschichtsforschung 47, 1933, S. 40. 76) Über den böhmischen Lothgarnhandel, vgl. Beer, a. a. O., S. 86. 71) Die Berichte Kresseis über diese Vorfälle erhielt — ebenso wie alle anderen — auch der Mitregent zur Einsicht, der, „durch das Elend dieser Ge- bürgs Einwohner von Mitleid gerühret“, resolvierte, daß die Verordnung vom 3. II. 1771 zu widerrufen sei „und die freye Spinnung des Lothgarn denen Unterthanen ohne Ausmessung der Fäden oder anderer Chicanen freigestellt bliebe“ (1771 IV 7, Note Kollowrats, Kommission Fasz. 1, April, n. 2). Die Hofkanzlei beauftragte daher am 12. April das böhmische Gubernium, die wegen dieser Bestimmung erhobenen Klagen zu überprüfen und falls sich diese als berechtigt erweisen sollten, die Verordnung „unauffällig“ zu widerrufen (ebendort, n. 6). Der eigens eingesetzten Untersuchungskommission gehörte auch Kressei an (ebendort, n. 2). 72) So hatte z. B. in Hohenelbe ein Spinner 23 Kinder zu ernähren, die ihm drei Frauen geboren hatten. 1771 III 29, Prag. Ebendort, April, n. 2. 73) 1771 III 19, Königgrätz. Ebendort.