Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 6. (1953)

BLAAS, Richard: Probleme und Methoden der Archivalienrestaurierung

358 Richard Blaas ten, aber auf die Dauer die Schreibstoffe beschädigten und die Schrift schwächten, wenn nicht restlos vernichteten. Es handelt sich im allge­meinen um chemische Flüssigkeiten, wie Galläpfeltinkturen, Schwefel­leber, Schwefelammonium, Giobertitinktur und verschiedene andere Ab­arten dieser Mittel, die alle die Eigenschaft haben, die im Pergament noch zurückgebliebenen Tintenspuren wieder intensiver dunkel zu fär­ben, wobei aber gleichzeitig auch die übrigen bestrichenen Teile der Pergamentblätter eine Dunkelfärbung erfahren19). Einer der ersten Fabrikanten solcher Lösungen war Alessio Piemontese* der in seinem Werk „de secretis libri septem“ das Rezept einer Galläpfeltinktur dar­bot. Zu diesen Hilfsmitteln griffen im 19. Jahrhundert eine Reihe der bedeutendsten Forscher, wie der Kardinal Angelo Mai, Niebuhr, Momm­sen, Ranke, um nur die bedeutendsten zu nennen. Als sichtbaren End­effekt findet man in den damit bearbeiteten Handschriften und Urkunden mehr oder weniger störende häßliche Flecken, die von braun bis schwarz, von grün bis bläulich als sichtbare Zeugen der verschiedenen chemischen Reagentien sich darbieten20). Daß es auch in diesem Stadium der Ent­wicklung bereits wahre Meister ihres Faches gab, beweisen die Versuche des neapolitanischen Restaurators Cristoforo Marino 21) dessen Versuche 1893 Aufsehen erregten und allgemeine Anerkennung fanden. Er erfand eine eigene Lösung zur Auffrischung verblaßter Tinten, die auf rein pflanzlicher Basis dem Material fast keinen Schaden zufügte und doch ausgezeichnete Resultate lieferte. Er hielt die Zusammensetzung dieser seiner Lösung streng geheim und nahm dieses Geheimnis auch in das Grab mit; man weiß heute nur, daß er mit Trockenpflanzen von der Art der Kamille einen Aufguß herstellte, in dem er das Pergament eintauchte und ein erstaunliches Maß von Belebung der Tinte erzielte, die eine schwarzgrünliche, chlorophyllartige Tönung annahm; auch das Perga­ment nahm eine ganz leichte Grüntönung an, erlitt aber keine weiteren Schäden. Er erzielte frappierende Erfolge, aber alle Versuche hinter sein Geheimnis zu kommen, blieben erfolglos und so blieb seine Methode ein Einzelfall. Doch der entscheidende Fortschritt in der Palimpsestforschung und in der Lesbarmachung verblaßter Schriften gelang dann der Photo­graphie und damit leistete dieser Forschungszweig Entscheidendes für die Konservierung und Restaurierung von Archivalien und leitete die 19) A. D o 1 d, Palimpset- Handschriften a. a. 0., S. 20. 20) Aber nicht nur zur Aufhellung der Erstschrift, also nicht nur in eigent­lichen Palimpsesten, wurden diese Mittel in der Folge angewandt, sondern über­haupt zur Belebung und Lesbarmachung verblaßter Tinten in Urkunden und Handschriften. Das editionsfreudige 19. Jh. fand diesbezüglich ein weites Be­tätigungsfeld. Als Beispiel sei hier nur der bekannte Mondseer-Traditionskodex angeführt (Wien, H., H. u. St. A. Hs. B 70). 21) A. Gallo, Patológia, II Metodo Marino, a. a. 0., S. 100.

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