Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 6. (1953)

NECK, Rudolf: Zeitgeschichtliche Literatur über Österreich

Rezensionen 507 Grundlage zur ersten Denkschrift ein eigenhändiges Konzept oder ein Diktat Maria Theresias, während er die zweite als Umarbeitung der ersten auf ihren Befehl durch eine andere Person bezeichnet. Die ältere Schrift ist um 1750, also gleich nach dem großen Umbau der Behörden entstanden; es lag der Kaiserin daran, die Notwendigkeit dieses Verwaltungsumbaues, und der neuen Einrichtung, die sie „mehr als einen Augapfel“ der Hut ihrer Nachkommen „zu Abwendung ferneren besorglichen Übels“ (S. 73) anempfiehlt, zu erklären. Die zweite Denkschrift, 1755/56 entstanden, sollte erst nach dem Tode Maria Theresias geöffnet werden, hat also noch mehr den Charakter eines Testamentes. Auch diese ist ihren „Nachfolgern zum Unterricht“ verfaßt, damit sie einen Begriff vom Wesen des neuen Systems und von Geschichte und Ursachen der Einführung erhalten (S. 106). Es sollte also damit den nach dem Tode der Regentin zu erwartenden, ihr wohlbekannten Tendenzen nach Abschaffung oder Veränderung ihres Lebenswerks ein Riegel vorgeschoben werden. Die Denkschriften sind heute nicht nur äußerst wertvolle Dokumente für den Historiker, die ihm Details klar machen, über welche sonst keine Quellen mehr vorhanden sind, da manche Einzelheit in dem Gang der Geschehnisse gar nicht den Weg in die Akten genommen hat (S. 21), manches seither — auch nun einiges infolge des letzten Krieges —, verloren gegangen ist; sie sind überdies durch die Art, in der die Kaiserin über ihre eigenen Schwierigkeiten und Pläne, über ihre Einstellung zu Gott, ihrem Reich und zu den mit ihr arbeitenden Ministern spricht, menschlich ganz besonders ergreifend. Beide Denkschriften beginnen mit einer eingehenden Schilderung der trostlosen Lage des Reiches und seiner Regentin in den ersten Jahren ihrer Herrschaft. Sie sieht es als eine wunderbare Rettung durch den All­mächtigen an, daß die Monarchie damals bestehen blieb, und erkennt in der neuen Staatseinrichtung den einzigen Weg, um ihren Nachkommen eine ähnliche Krise zu ersparen (S. 72). Völlig von „Geld, Truppen und Rat entblößt“ (S. 26), war sie doch auch selbst von ihrem Vater gar nicht in die Politik eingeführt worden. Unter ihren Räten aber ergaben sich angesichts der schweren Situation bittere Meinungsverschiedenheiten. Die Kaiserin wirft treffende Lichter auf diese Männer ihrer Umgebung und hält mit ihrer Meinung nicht zurück. So gibt sie zu, daß Sinzendorf ein „großer Ministre“ war, „allein dieser hatte mein Vertrauen nicht“, fügt sie hinzu. Starhemberg dagegen hatte dieses und immer mehr gewinnt Bartenstein, der ihr anfangs wenig gefiel, ihre Achtung (S. 27). Kinsky, der oberste Kanzler des Königreiches Böhmen, war aber in ihren Augen viel an dem Unglück der ersten Kriege schuld (S. 30, 33). „Bartenstein und Haugwitz“, bekennt sie, „gaben mir für den Staat und Erhaltung der Monarchie das Benötigte in die Hand, Tarrucca und Koch dieneten mir zu meinem Trost, Rat und Particularauskundschaften, zu meiner eigenen Er- kanntnüss und Correction“ (S. 52). Ihnen sollte diese Schrift zur Ehre gereichen. Sehr klar erkennt die Regentin, daß ein Teil der Mißstände im Reiche aus dem Egoismus von partikularen Behörden, Ständen und Funktionären hervorgegangen sei, aber zugleich durch einen vollkommen veralterten Apparat, der immer weniger ein Eingreifen der obersten Stellen möglich

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