Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 5. (1952)
HAUPTMANN, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878–1881
Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878—1881 133 bungen der österreichischen Industrie fanden in Ungarn taube Ohren, denn, da es mehr produzierte als die ganze Monarchie konsumieren konnte12), war es unbedingt auf die Ausfuhr angewiesen. So lange der auswärtige Markt ihm offen stand, konnte es auch selbst anderen Staaten gegenüber liberal sein. Jeder Schutzzoll auf Landwirtschaft, etwa als Kompensation für die Zugeständnisse desselben an die Industrie gedacht, mußte illusorisch sein, da die ungarischen Produkte im Auslande sich doch den Weltpreisen anpassen mußten. Als nun die österreichischen Industriellen im Zolltarif von 1878 teilweise mit dem Schutzzoll durchgedrungen waren, blieb Ungarn höchst unbefriedigt. Denn die auf diese Weise verteuerten österreichischen Industrieartikel mußte Ungarn mit dem gleichen Gelde und Verdienste seiner Landwirtschaft bezahlen wie vorher. Das Ergebnis dieser Sachlage in Ungarn war das Bestreben nach Gründung einer einheimischen Industrie einerseits, und andererseits eine damit zusammenhängende Tendenz zur Forcierung und zum Schutze der Landwirtschaft und der Viehzucht13). Diese Richtung gipfelte im Programm vom Jahre 1895, das das Verlangen nach Schutz alles dessen, was ungarisch sei, aufstellte 14). Das richtete sich somit gegen jede Handelsbegünstigung, die einem fremden Staate zugebilligt worden war, so gegen Serbien für sein Getreide und Vieh, gegen Italien für seinen Wein etc. Zur Radikalisierung dieses Programmes hatten allerdings die mittlerweile in Europa stattgefundenen wirtschaftlichen Umwälzungen ganz wesentlich beigetragen. Schon seit den 70er Jahren hatte die ungarische Getreideausfuhr gegen die immer größere überseeische Konkurrenz anzukämpfen. Solange ihr jedoch der deutsche Markt, wie auch der im Westen offenstanden, war unmittelbare Gefahr nicht vorhanden. Die Lage verschlimmerte sich jedoch bedeutend, als 1876 Deutschland die Eisenbahntarife erhöhte und gleichzeitig öfters der ungarischen Viehausfuhr die Grenze verschloß. 1879 kam dann der doppelte Schlag in der Form des deutschen autonomen Zolltarifs und der französischen Agrarmaßnahmen. War bis dahin Ungarn einer Reform des eigenen Zolltarifs abgeneigt, so wurde es daraufhin anderen Sinnes und erklärte seine Bereitschaft zur Revision. Fast verlustig seines auswärtigen Handels, wandte es jetzt seine ganze Aufmerksamkeit der Erhaltung des inneren, österreichischen Absatzgebietes zu15). Um dieses zu sichern, auf dem es bis zu 75% seines Überschusses absetzte16), mußte es streben, jede fremde Konkurrenz auszuschalten, also vor allem die Einfuhr aus den Balkanländern und Rußland durch Erhebung hoher agrarischer Schutzzölle zu drosseln 17). Um Deutschland die Möglichkeit der Viehgrenzsperre zu entziehen, die dieses öfters unter dem Vorwand der Seuchengefahr gegen die Einfuhr von ungarischem Vieh verhängte, da Ungarn das Durchgangsland für das oft verseuchte Vieh aus den Balkanländem war, kam in der Monarchie bald ein Gesetz zustande, nach dem auch die eigene Grenze für Rinder gesperrt werden konnte, was auch seit 1. I. 1881 tatsächlich gegenüber