Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 5. (1952)

HAUPTMANN, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878–1881

134 Ferdinand Hauptmann Rußland, der Türkei, Bulgarien, Rumänien und Serbien geschah18). In diesen Gedanken lag auch schon die später ungarischerseits aufgestellte Forderung, Handelsverträge so zu schließen, daß immer die Möglichkeit einer Sperrung der Grenze für Vieh unter dem Vorwand der Ansteckungs­gefahr gewahrt bleiben könnte19). Die Wechselwirkung zwischen der ungarischen Ausfuhr nach dem Westen und der serbischen Einfuhr in die Monarchie tritt also hier hervor. Fand Ungarn offene Türen für die Ausfuhr seiner landwirtschaftlichen Produkte und seines Viehes in Deutschland, so war es auch der Einfuhr aus den Balkanländern nicht abgeneigt. Im entgegengesetzten Falle aber mußte es die Grenze gegen diese Länder sperren, um wenigstens den inneren Markt voll zu beherrschen'29). Im Jahre 1878/79 waren alle diese Probleme — ob Freihandel oder Schutzzoll, Gründung einer eigenen Industrie oder einseitige Entwicklung von Landwirtschaft und Viehzucht — im besten Falle erst aufgeworfen. In ihrer Schärfe traten sie größtenteils erst allmählich hervor. Der Augen­blick jedoch, in dem man sich von einem überlieferten wirtschaftlichen System loszulösen begann, und sich anschickte, neuen Ufern zuzusteuern, war nicht geradezu förderlich für energische und konsequente Betreibung wirtschaftspolitischer Pläne, wie sie die Monarchie damals auf dem Balkan vorhatte. Die Schwierigkeiten, die sich einer Entschädigung und Unterstützung Serbiens, sei es auf politischem oder wirtschaftlichem Gebiete entgegen­stellten, wurden noch verstärkt durch die Schwerfälligkeit des öster­reichisch-ungarischen Staatsapparates. Die Auswirkungen der dualistischen Verfassung auf dem Handelsgebiete sind schon erwähnt worden. Aber auch auf allen anderen Gebieten wirkte sich der Dualismus hemmend aus. Jede Hälfte führte auf andere Weise ihre innere Politik, obwohl die Lösungen oder Verwicklungen nicht an der Leitha stehen blieben. Das Kompromiß­organ, die Delegationen, war nicht danach beschaffen, diese Mängel aus­zugleichen. Erstens sind so vielköpfige Körperschaften an und für sich schon nicht geeignet, schnelle Entschlüsse zu fassen, andererseits wurde die Prozedur durch den hauptsächlich schriftlichen gegenseitigen Verkehr noch mehr verlangsamt21). Da außerdem durch den Dualismus nur die zwei Hauptvölker befriedigt wurden, die Zahl der unbefriedigten aber weit größer war, so stellten sich jedem politischen Schritt die größten Hindernisse in den Weg. Denn, was einem Volke gefiel, mußte nicht dem anderen gefallen22). Die Unschlüssigkeit und Passivität der auswärtigen Politik hatte hier ihre Wurzel und bekam dadurch jenes Merkmal des Negativen, das für Österreich-Ungarn bezeichnend blieb: Es konnte auf dem Balkan nicht aktiv Vorgehen; andererseits konnte es auch den Russen nicht freie Hand lassen, da ihr Vormarsch bedrohlich war. Allein, wie sollte die Monarchie die Türkei halten und zugleich doch auch die slavischen Unabhängigkeits­

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