Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 5. (1952)
HAUPTMANN, Ferdinand: Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878–1881
Österreich-Ungarns Werben um Serbien 1878—1881 127 Aus den Berichten des Fürsten Wrede geht jedoch hervor, daß er sich trotz der augenscheinlichen russenfeindlichen Symptome und der mehrfach von serbischer Seite geäußerten Überzeugung, eine richtige Politik erfordere Anlehnung an Österreich, doch keinen übertriebenen und voreiligen Hoffnungen hingab16). Dem immer deutlicher werdenden Hinneigen Serbiens zu Österreich und England, ebenso wie den serbischen Versprechungen bezüglich einer ganz neuen zukünftigen Politik und etwa dem äußerst charakteristischen Plane der Öffentlichkeit, ihm und dem englischen Vertreter einen Fackelzug zu veranstalten, begegnete er mit großer Zurückhaltung. Er wies wiederholt darauf hin, das alles bedeute noch keine österreichische Richtung, sondern vielmehr erst „als ob die Erfahrungen, die Serbien soeben gemacht hat, dasselbe von dem bisher verfolgten blinden Nachgehen der russischen Politik gründlich geheilt haben“. Aber er setzte sich in seinen Ratschlägen voll dafür ein, daß Österreich diese günstige Lage ausnützen müsse, da es, wie er schrieb, „meiner Ansicht nach nur eines ganz geringen Entgegenkommens von unserer Seite bedürfe, um vorzüglich den vernünftigen und denkenden Teil der hiesigen Bevölkerung gänzlich zu unseren Gunsten zu stimmen“ n). Es ist ohne weiteres ersichtlich, daß der Augenblick gekommen war, in dem sich wenigstens ein Teil der serbischen führenden Kreise aus der russischen Hypnose befreite und dem österreichischen Einflüsse williger entgegenkam18). Der andere Teil war aber Rußland so ergeben, daß alle Enttäuschungen seiner Anhänglichkeit keinen Abbruch tun konnten. Selbst im Kreise der Regierung fand sich ein Vertreter dieser Richtung in der Gestalt des Unterrichtsministers Vasiljevic, der nicht versäumte, noch im gleichen Jahre 1878, in dem Rußland doch Serbien so stiefmütterlich behandelte, nach Petersburg zu reisen, um dort seinem Wunsche Ausdruck zu verleihen, nachdem „die Einheit des Glaubens, des Stammes und der Interessen“ zwischen beiden Staaten schon bestehe, nun auch durch Einführung der russischen Sprache, vorläufig als obligaten Gegenstandes in den Mittelschulen, „die Einhelligkeit der Worte und des Geistes“ zustandezubringen 19). Daß unter dem Eindrücke zweier so verschiedener Richtungen die serbische Regierung schwankte, ohne zu einer klaren Entscheidung kommen zu können, ist nicht schwer zu erraten. Im Frühjahr, als man einer friedlichen Beilegung der orientalischen Frage nicht mit Sicherheit entgegensehen konnte, faßte Wrede die Lage und Stellung des serbischen Kabinetts folgendermaßen zusammen: „Man wartet die Ereignisse ab und denkt nur mit Schaudern an den möglichen Eintritt einer Eventualität, wo man gezwungen wäre, Farbe zu bekennen“ 2#). Anmerkungen. In den Anmerkungen verwendete Abkürzungen für unveröffentlichte Akten aus dem Haus-, Hof- und Staatsarchiv: