Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 4. (1951)

SANTIFALLER, Leo: Die älteste Originalurkunde des Österreichischen Staatsarchivs

46 Leo Santifaller Verleihung der Immunität an Kirchen, die ähnlich wie die Domänen nach dem Vorbilde der spätantiken Entwicklung, nicht nur Befreiung von finanziellen Leistungen, sondern auch Befreiung vom öffent­lichen Richter wünschten und erhielten, änderte daher das ursprüng­liche Wesen der Immunität. So kam es, daß die fränkische Immunität gegenüber der alten römischen eine Bereicherung erfuhr; zur alten emunitas in finanzieller Hinsicht trat nun auch die teilweise Befreiung von der Gewalt des öffentlichen Richters. Diese erweiterte Form tritt uns seit Ende des 6. Jahrhunderts entgegen. Die Immunität hat zunächst negative Wirkungen, sie schränkt die Wirksamkeit des öffentlichen Beamten ein: sie verbietet dem öffentlichen Beamten die befreiten Besitzungen zur Vornahme von Amtshandlungen zu betreten, introitus iudicum; und sie verbietet ferner dem öffentlichen Beamten auf dem Immunitätsgebiet richter­liche Funktionen (districtio) auszuüben und öffentliche Leistungen und Abgaben (exactiones) geltend zu machen, doch beides mit gewissen Einschränkungen. Die Immunität hat aber nicht nur negative, sondern auch positive Wirkung: 1. Sie enthält das Recht auf die Einhebung der Straf- und Friedensgelder sowie sonstiger Abgaben, die bisher der öffentliche Beamte einforderte; diese Ein­künfte, auf die der Staat verzichtet, fallen dem Besitzer des Immuni­tätsgebietes, dem Immunitätsherrn zu; 2. Seit dem 9. Jahrhundert bewirkt die Verleihung der Immunität für das Gebiet der betreffenden Kirche einen Sonderfrieden; 3. Die Immunität verlieh dem Immuni­tätsherrn eine Gerichtsbarkeit; seit der Zeit, in der die districtio Bestandteil der Immunität wurde, also die Vornahme von Gerichts­verhandlungen dem öffentlichen Beamten entzogen wurde, mußte jemand anderer die Gerichtsbarkeit über die im Gebiete der Immunität ansässigen Leute wahrnehmen, und dies war eben der Immunitätsherr. Das Recht der districtio und der exactio, der Gerichtsbarkeit und der Abgabenfreiheit, war, wie bemerkt, zunächst beschränkt. So befreite die Immunität nicht von allen öffentlichen Leistungen und Abgaben, z. B. blieben Heer- und Wachtdienste, Brücken- und Weg­bau erhalten. Und desgleichen ging die Immunitätsgerichtsbarkeit nur so weit, als die öffentliche Gerichtsbarkeit finanziellen Charakter hatte; sie gilt also nur für jene Rechtsfälle, in denen Geldstrafen verhängt wurden und sie ist nicht zuständig für die schweren Kriminalsachen, für die causae maiores, wo mit Acht, Leib und Leben gestraft wurde; in dieser Hinsicht zeigt sich noch der Zusammen­hang mit der alten Immunität, die nur finanzielle Belange betraf.

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