Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 4. (1951)
SANTIFALLER, Leo: Die älteste Originalurkunde des Österreichischen Staatsarchivs
38 Leo Santifaller das untergeordnete Kanzleipersonal. Allgemein gebräuchliche und feststehende offizielle Amtstitel sind in der Zeit Pippins und Karls d. Gr. weder für den Kanzleivorsteher noch auch für die ihm untergebenen Beamten nachweisbar; erst in der Zeit Ludwigs d. Fr. kommen solche Titel allmählich auf und nehmen bestimmtere Formen an. Zunächst hat man unter den ersten karolingischen Königen, wahrscheinlich ohne einen bestimmten Unterschied zwischen dem Chef und dem Subalternen zu machen, auf den einen wie auf den anderen die damals im fränkischen Reiche für andere amtliche Urkundenschreiber üblichen Titel, insbesondere notarius und cancellarius angewendet, wobei allmählich der Titel cancellarius im allgemeinen eine höhere Stellung als der Notarstitel bezeichnet zu haben scheint. An der Spitze der Kanzlei stand unter Ludwig d. Fr. ein Kanzleivorsteher, dessen Anordnungen den gesamten Geschäftsgang regeln. Während aber noch xmter Karl d. Gr. mit einer einzigen Ausnahme sämtliche Kanzleivorstände aus dem subalternen Personal hervorgegangen sind, ist dies unter Ludwig d. Fr. nicht mehr der Fall; unter diesem Herrscher werden nur mehr Männer vornehmer Herkunft und von einer gewissen politischen Bedeutung an die Spitze der Kanzlei gestellt, Männer, die niemals dem subalternen Dienst der Kanzlei angehört haben. Die Beglaubigung (Rekognition) aller in der Kanzlei geschriebenen Urkunden wird entweder von dem Kanzleichef persönlich oder von einem anderen Beamten im Namen und an Stelle (ad vicem) des Kanzleichefs vollzogen. In der Zeit Karls d. Gr. haben die Kanzleivorstände Rado und Ercambald nicht nur Rekogni- tionen, sondern ganze Eschatokolle selbst geschrieben. Unter Ludwig d. Fr. wird dies anders; unter diesem Herrscher hat nur noch der erste Kanzlei Vorsteher Helisachar, der bis 819 im Amte war, die Rekognition gelegentlich noch eigenhändig eingetragen; dessen drei Nachfolger aber, Fridugis, Theoto und Hugo, haben sich, ohne die Leitung des Schreibgeschäftes aus der Hand zu geben, an der Unterfertigung persönlich nicht mehr beteiligt. Das Amt des Kanzleivorstehers wird eben allmählich zum höchsten Amt des Reiches und daher muß dessen Inhaber das eigentliche Kanzleigeschäft mehr und mehr einem Stellvertreter überlassen. Während unter Karl d. Gr. der Kanzleivorsteher noch als notarius und cancellarius bezeichnet wird, findet sich unter Ludwig d. Fr. neben dem Titel cancellarius und cancellarius noster bereits die Bezeichnung summus cancellarius und summus sacri 'palatii cancellarius. Im Jahre 856 wurde die Vorsteherschaft der Kanzlei mit der Vor