Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 4. (1951)

GOLDINGER, Walter: Archivwissenschaftliche Literatur der Jahre 1948–1951

330 Literaturberichte liehen Frage der geschichtlichen Stellung Gentz’ neben Metternich. Treffend analysiert M. (S. 329 f.) die eigenartige politische Lage Österreichs als des europäischen Staates par excellence, gegen den sich notwendigerweise die Entwicklung richtete, wodurch auch die Haltung seiner führenden Staats­männer bestimmt war. Wie weit sich die Politik Metternichs vom gesamt­österreichischen Standpunkt aus rechtfertigen läßt, wird man jedoch kaum entscheiden können; mancher Vorwurf, wie der der Phantasie- losigkeit in der Balkanpolitik ist hier schwer zu widerlegen. Der Verfasser, der — noch ohne Kenntnis der einschlägigen Untersuchungen W. Näfs und seiner Berner Schule —- die Berechtigung der Heiligen Allianz bis Aachen zugibt, unterläßt es, zu fragen, wie weit sich die Einwände gegen das „System“ nicht überhaupt gegen die spätere Regierungszeit Metternichs richten und noch auf Gentz zu beziehen sind. Es wäre noch mehr hervor­zuheben gewesen, daß dieser sich in seinen letzten Lebensjahren, als er an der inneren Berechtigung vieler von ihm vertretener Prinzipien zu zweifeln begann, nicht nur innerlich dem Staatskanzler widersetzte, sondern auch offen und vielfach mit Erfolg mäßigend eingewirkt hat. Damit wäre auch die zu weit gehende tiefenpsychologische Deutung (S. 325) und im letzten Abschnitt die apologetische Tendenz, die man dem übrigen Werk nicht zum Vorwurf machen kann, hinfällig. Doch sollen in diesem Zu­sammenhang M.s gute Bemerkungen über den Beruf des Staatsmannes und sein Verhältnis zum positiven und Naturrecht und im Schlußwort die geistreiche Gegenüberstellung Gentz — Heine hervorgehoben werden. Ebenso verdienen M.s Ausführungen über das veränderte Verhältnis Europas zur Neuen Welt Beachtung, nur hätte man bei der Episode mit Bollmann (S. 281 ff.) in einem in Amerika zuerst erschienenen Werk auch einen kurzen Hinweis auf die Studie von Sweet (Erich Bollmann at Vienna, American Historical Review, vol. 46, 1941, S. 580 ff.) erwartet. Ein Vorzug der Biographie von M. gegenüber der von Sweet ist es, daß sie mehr geistesgeschichtliche Zusammenhänge, die Einflüsse von Burke, de Maistre und Mailet du Pan aufdeckt, allerdings ohne Berück­sichtigung der Untersuchungen Rantzaus (in MÖIG., 43. Bd., 1929, S. 77 ff.). Die Ausführungen über die Philosophie Kants und Hegels lassen ein tieferes Verständnis vermissen. Gentz’ eigentümliches Verhältnis zur Natur und zu den Naturwissenschaften hätte eine eingehendere Betrachtung verdient. Den bei einer Lebensgeschichte Gentz’ vielleicht besonders lockenden Abschweifungen in die chronique scandaleuse gewährt M. wohltuend wenig, nur auf das Notwendige beschränkten Raum. Einige Entgleisungen in anderem Zusammenhang, wie der erfundene Klatsch über Marie Karoline und Elliot (S. 115) sowie die geschmacklosen Bemerkungen über Marie Louise (S. 256), wären besser vermieden worden. Überhaupt leidet das nicht immer in einem eleganten Stil verfaßte und in manchen Wendungen wie eine schlechte Übersetzung aus dem Englischen anmutende Buch an vielen überspitzten Formulierungen. Der häufige Gebrauch von Aus­drücken aus dem modernen publizistischen Wortschatz wirkt bei einem historischen Werk immer peinlich. Auch gelingt es dem Verfasser nicht, in seine Darstellung einen durchwegs einheitlichen Zug zu bringen. Wohl ausgewogene Abschnitte wechseln mit skizzenhaften historischen Reportagen

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