Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 1. (1948)
MAASS, Ferdinand: Vorbereitung und Anfänge des Josefinismus im amtlichen Schriftwechsel des Staatskanzlers Fürsten von Kaunitz-Rittberg mit seinem bevollmächtigten Minister beim Governo generale der österreichischen Lombardei, Karl Grafen von Firmian, 1763 bis 1770
Vorbereitung und Anfänge des Josefinismus 297“ Wesen *) die verderblichen Folgen dieses Staatskirchentums vielfach abschwächte und sie jedenfalls nicht zur vollen Auswirkung gelangen ließ * 2). In diese geistesgeschichtliche Situation von weltweiter Wirkung; und Bedeutung führt uns der amtliche Schriftwechsel des Staatskanzlers Maria Theresias mit seinem bevollmächtigten Minister beim Go verno generale der österreichischen Lombardei in Mailand. Fürst Kaunitz war der Schöpfer jenes außenpolitischen Systems gewesen, das Frankreich, die bedeutendste europäische Festlandsmacht, als jahrhundertealten Rivalen Österreichs unschädlich und sogar durch volle 40 Jahre hindurch den österreichischen Interessen dienstbar gemacht hatte 3); Kaunitz wird noch während der Jahre dieses amtlichen Briefwechsels der Schöpfer des neuen staatskirchlichen Systems Ebenso erachtete ich auch in einer Gelegenheit, in welches es darum zu thun ist ein Mittel zu finden, um Euer Majestät aus der sehr unangenehmen Verlegenheit zurück zu tretten und sich selbst wiedersprechen zu müssen, heraus zu ziehen . .. Staatsarchiv, Staatskanzlei, Varia Romana Fasz. 58. ’) G. Dorschei, Maria Theresias Staats- und Lebensanschauung. Gotha 1908. S. 19 ff. 2) Aber an ihrer Mitverantwortlichkeit kann kein Zweifel bestehen. Ist Kaunitz der Vater des Josefinismus, so ist Maria Theresia seine Mutter. Als der Papst gegen die neuen staatskirchlichen Grundsätze schärfste Verwahrung einlegte, übersandte die Kaiserin diesen Protest dem Staatskanzler mit der Aufforderung sich dazu zu äußern, damit sie dem Wiener Nuntius, der zur Übergabe des päpstlichen Breves um Audienz gebeten hatte, eine entsprechende Antwort erteilen könnte. Kaunitz riet ihr, „entweder die Sache ganz auf sich beruhen zu lassen, und durch die That denen päbstlichen unbefugten Anmaßungen zu widersprechen, oder aber auf das Breve eine solche schriftliche Antwort zu ertheilen, als es die allerhöchste Würde, und ohnumschränkte Befugnüsse erforderen; bey welcher letzteren Maassregel so wenig, als bey der ersten ein wesentliches Bedenken obzuwalten scheinet: Da es ohnedem das Ansehen gewinnet, daß der römische Hof noch einen Versuch wagen, und nichts stillschweigend eingestehen, sondern das lezte Wort behalten wollen, aber durch die allerhöchste Antwort auf das neue in sein Unrecht gesezt würde. Jedoch wird Euer Majestät allergnädigster Befehl mir zur gesicherten Richtschnur dienen, als welchen mir in tiefster Erniedrigung erbitte.“ Die Resolution, die Maria Theresia daraufhin eigenhändig niederschrieb, hatte dann folgenden bezeichnenden Wortlaut: „Werde die audientz noch trainim entlieh sie geben und also antworten, wie Kaunitz es meinet.“ Staatsarchiv, Staatskanzlei, Vorträge 1768, 11. Sept. 3) Georg Küntzel, Fürst Kaunitz als Staatsmann. Frankfurt a. M. 1924.,